Epidemiologe Salathé «Die Idee, dass Viren immer milder werden, ist zu einfach»

Von Maximilian Haase

14.1.2022

Behandlung eines Covid-Patienten in Lausanne: Wird aus der Pandemie eine Endemie?
Behandlung eines Covid-Patienten in Lausanne: Wird aus der Pandemie eine Endemie?
Bild: Keystone

Was kommt nach Omikron? «Es ist damit zu rechnen, dass es immer wieder zu Varianten kommt, die ansteckender sind», sagt der Epidemiologe Marcel Salathé im Interview.

Von Maximilian Haase

14.1.2022

Die Omikron-Variante breitet sich weiter aus, auch die Zahl der Ansteckungen steigt kontinuierlich an. Gegen Ende Januar könnten innerhalb einer Woche bis zu zweieinhalb Millionen Menschen infiziert sein, rechnete die Taskforce des Bundes unlängst vor. Aus der Pandemie könnte also eine Endemie werden, so Experten. Was das bedeutet, erklärt der Epidemiologe Marcel Salathé im Interview.

Alain Berset sagte am Mittwoch, dass «Hoffnung besteht, dass wir nun oder bald in die endemische Phase eintreten». Können wir wirklich auf ein Ende der Pandemie hoffen?

Zur Person
Marcel Salathe, Professeur en epidemiologie de l'EPFL et responsable du groupe d'experts en epidemiologie numerique de la Confederation pendant la crise du Coronavirus (Covid-19) pose le mardi 23 juin 2020 a Lausanne. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
Bild: Keystone

Marcel Salathé ist Professor an der ETH Lausanne, wo er das Labor für digitale Epidemiologie leitet. Salathé war bis Februar 2021 Mitglied der Schweizer Covid-19-Taskforce und mitbegründete anschliessend die Organisation CH++, die sich für eine «handlungsfähige, nachhaltige und wohlhabende Schweiz durch Wissenschaft und Technologie» einsetzt.

Der technische Unterschied zwischen Pandemie und Endemie ist der, dass eine Endemie nur lokal vorkommt, aber nicht weltweit. Aber praktisch gesehen benutzt man den Begriff Pandemie vor allem dann nicht mehr, wenn die Krankheit nicht mehr neu ist und man sich daran gewöhnt hat, mit ihr zu leben, anstatt ständig im Krisenmodus zu sein. Das bedingt eine hohe Immunität, die vor schweren Krankheitsverläufen schützt. Dies wird bei uns auch so sein – mit der möglichen Ausnahme von neuen besorgniserregenden Varianten.

Was würde es konkret bedeuten, wenn wir eine endemische Phase erreicht hätten?

Dass wir nicht mehr ständig im Krisenmodus sind. Aber endemisch heisst nicht, dass eine Krankheit zwingenderweise mild ist. In vielen Ländern sind Krankheiten wie Malaria oder Cholera endemisch. Für Covid in der Schweiz wird es einfach heissen, dass die Wellen kommen und gehen, ähnlich wie bei der Grippe, ohne dass man gleich mit Überlastungen des Systems rechnen muss. Aber die Wellen werden wahrscheinlich weiterhin eine starke Belastung für das Gesundheitssystem bedeuten, vor allem, wenn sie gleichzeitig mit den Grippewellen vorkommen.

Sie haben mögliche besorgniserregende Varianten angesprochen: Wie wahrscheinlich ist es, dass in der Zukunft nach Omikron neue Mutationen des Coronavirus entstehen?

Mutationen sind garantiert, das ist Evolution. Es ist damit zu rechnen, dass es immer wieder zu Varianten kommt, die ansteckender sind oder die die Immunität zu einem gewissen Grad umgehen können. Das sieht man auch bei der Grippe, obwohl da etwas andere biologische Prozesse dahinterstecken. Es gibt jährlich die saisonale Grippe, und dann kommt hin und wieder eine neue Variante, die für das Immunsystem schwierig zu erkennen ist und die sich aus diesem Grund schnell weltweit verbreiten kann. Dann spricht man wieder von pandemischen Grippen, so wie das letzte Mal im Jahr 2009. Bei der Grippe geschieht das im Schnitt alle 20 Jahre. Bei diesem Coronavirus wissen wir das noch nicht, die Zukunft wird es zeigen.



Und würden diese Mutationen der Omikron-Variante dann auch vergleichsweise mild ausfallen – oder ist es auch denkbar, dass wieder gefährlichere Mutationen entstehen?

Wir hoffen, dass neue Varianten mild sind, aber wir müssen damit rechnen, dass sie hin und wieder gefährlich werden können. Die Idee, dass Viren immer milder werden, ist zu einfach. Bei Viren, die auch in anderen Spezies zirkulieren können, besteht immer wieder die Gefahr, dass sie nach einiger Zeit in sehr veränderter Form wieder auf den Menschen springen können. Das Gefährliche an Infektionen ist eigentlich immer die erste Infektion, wenn das Immunsystem das Virus noch nicht kennt. Eine stark veränderte Form tierischen Ursprungs ist für mich deshalb das Szenario, für das man planen muss.

Welche Rolle spielen Impfungen noch, wenn die endemische Phase eintritt?

Das Wichtige ist eine hohe Immunitätsquote. Die Impfung ist ja einfach ein Weg, Immunität zu erhalten, ohne sich dem Risiko einer Infektion auszusetzen. Wenn die Immunitätsquote hoch ist, dann ist die Verbreitung für das Virus schwieriger. Der Schutz vor Infektion schwächt sich leider immer wieder ab, weshalb man auch immer wieder neu infiziert werden kann. Aber wenn man mal eine Immunität hat, durch Impfung oder durch Infektion, dann gibt es in der Regel keinen schweren Krankheitsverlauf. Die Impfung wird deshalb zu einer Frage der persönlichen Risikobewertung.

Müssten nur noch bestimmte Bevölkerungsgruppen geimpft sein?

Ich gehe momentan davon aus, dass regelmässige Impfungen in den nächsten Jahren allen empfohlen werden, einfach um das Infektionsgeschehen zu beruhigen, und dass man dann irgendwann die Empfehlung auf Hochrisikogruppen beschränken wird.

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