Implantate Berner Chirurg blitzt vor Obergericht mit Stillschweigeverfügung ab

SDA

17.5.2019 - 11:45

Die Patienten eines Berner Chirurgen der mutmasslich in den Implantateskandal verwickelt ist, bekommen keinen Maulkorb verpasst. Das bernische Obergericht hat die Beschwerde einer Patientin gegen die Stillschweigepflicht gutgeheissen (Themenbild).
Die Patienten eines Berner Chirurgen der mutmasslich in den Implantateskandal verwickelt ist, bekommen keinen Maulkorb verpasst. Das bernische Obergericht hat die Beschwerde einer Patientin gegen die Stillschweigepflicht gutgeheissen (Themenbild).
Source: Keystone/APA/HELMUT FOHRINGER

Patientinnen und Patienten des Berner Chirurgen, der mutmasslich in den sogenannten Implantateskandal verwickelt ist, müssen gegenüber den Medien nicht schweigen. Das Berner Obergericht hat die Beschwerde einer Betroffenen gutgeheissen.

Das inzwischen rechtskräftige Urteil von Mitte März wurde jüngst vom bernischen Obergericht publiziert, wie die Tamedia-Medien am Freitag berichteten.

Im Herbst des vergangenen Jahres machte ein internationales Journalistenteam publik, dass eine von der britischen Firma Ranier entwickelte Bandscheibenprothese trotz Problemen in der Versuchsphase 2010 auf den Markt gebracht wurde. In mehreren europäischen Ländern, darunter auch die Schweiz, verursachte die künstliche Bandscheibe bei Patienten teilweise Komplikationen.

An der Entwicklung und Markteinführung von «Cadisc-L» war auch ein Professor des Berner Salemspitals beteiligt. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren eröffnet, es gilt die Unschuldsvermutung. Am Berner Salemspital sind sieben Fälle dokumentiert, in denen die künstliche Bandscheibe eingesetzt wurde.

Schweigepflicht erwirkt

Ende Dezember 2018 erwirkte der Berner Orthopäde, dass die Staatsanwaltschaft die Betroffenen mit einer Schweigepflicht bis Mitte 2019 belegte. Die Patienten sollten sich insbesondere nicht gegenüber Medien äussern dürfen. Der Chirurg nahm für sich in Anspruch, dass für ihn die Unschuldsvermutung gelte, und er eine für Medien besonders interessante Person sei.

Die Staatsanwaltschaft hiess die Forderung des Chirurgen gut, begründete aber den Maulkorb etwas anders. Der Professor dürfe nicht durch unsachliche Medienberichterstattung vorverurteilt werden. In einem solchen Fall könnte er sonst eine massive Strafreduktion, im Extremfall gar eine Verfahrenseinstellung erwirken.

Argumente zerpflückt

Doch das Obergericht wollte davon nichts wissen, wie aus dem Urteil hervorgeht. Vielmehr falle auf, dass die Staatsanwaltschaft die Stillschweigeverfügung nicht etwa von Amtes wegen, sondern auf Betreiben des Chirurgen hin erlassen habe.

Obschon sie für eine Stillschweigeverfügung eindeutige Gründe darlegen müsse, habe die Staatsanwaltschaft diese nur «schemenhaft umschrieben und im Laufe des Beschwerdeverfahrens neue, anderslautende Argumente nachgeschoben».

Keiner mag negative Schlagzeilen

Das bernische Obergericht erinnerte daran, dass die Pflicht zum Stillschweigen ein «erheblicher Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Handlungsfreiheit» darstellt.

«Die wenigsten Menschen sehen oder hören gerne negative Schlagzeilen über sich in den Medien. In vielen Fällen ziehen solche Schlagzeilen sowohl persönliche als auch wirtschaftliche Folgen für die Betroffenen mit sich», räumte das Obergericht ein.

Würde man die Schweigepflicht einzig zum Schutz der persönlichen Interessen zulassen, müsste dies auch in allen anderen Fällen, über die Medien berichten, möglich sein. Damit aber würde Täterschutz betrieben, «den das Gesetz so nicht vorsieht».

Weiter führt das Obergericht aus, dass die Unschuldsvermutung nicht generell über andere Grundrechte wie etwa die Meinungsäusserungsfreiheit gestellt werden kann. Dafür brauche es ausserordentliche Gründe, die hier aber nicht auszumachen seien.

Das höchste Berner Gericht verwies ebenfalls auf den Umstand, dass Medienschaffende nach bundesgerichtlicher Rechtssprechung verpflichtet sind, in Artikeln über mutmassliche Straftaten zu deklarieren, wenn gegen eine beschuldigte Person vorerst bloss ein Verdacht besteht.

Mit dieser Regelung werde der Unschuldsvermutung in der Medienberichterstattung «hinreichend Rechnung getragen», kam das Obergericht zum Schluss.

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