Die rotgrüne Berner Stadtregierung hat am Donnerstag im Parlament harte Kritik einstecken müssen. Die Bürgerlichen warfen ihr vor, sie habe die Steuereinnahmen viel zu optimistisch budgetiert und ihre Ausgabenpolitik unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durchgepeitscht.
Der Gemeinderat hatte am Montag bekanntgegeben, die Stadt Bern werde das Jahr 2019 wohl mit einem Defizit in zweistelliger Millionenhöhe abschliessen. Laut Stadtregierung blieben die Steuereinnahmen rund 30 Millionen Franken unter Budget. Die fünf Direktionen wurden beauftragt, nach möglichen Ausgabenkürzungen zu suchen.
Sämtliche Kontrollmechanismen hätten versagt, sagte Lionel Gaudy (BDP) in der kurzfristig beschlossenen «Diskussion zu einem aktuellen Ereignis». Für Gaudy ist schwer nachvollziehbar, dass der Gemeinderat erst jetzt den Einbruch der Steuereinnahmen 2019 erkannt habe.
Die Kritik von Milena Daphinoff (CVP) zielte in dieselbe Richtung. In der Debatte fürs Budget 2020 habe man noch gesunde Stadtfinanzen vorgegaukelt. Die jüngste Entwicklung löse «Wut, Irritation und Ernüchterung» aus.
Alarmsignale missachtet
Auch Viviane Esseiva (FDP) befand, man müsse sich vom Gemeinderat verschaukelt fühlen. Ihre Partei habe schon länger davor gewarnt, dass die Finanzen in Schieflage geraten könnten.
Alexander Feuz (SVP) stellte fest, für ihn komme die Entwicklung ebenfalls nicht überraschend. So seien etwa bei der Postfinance – eine der grössten Steuerzahlerinnen der Stadt – die Alarmsignale unübersehbar gewesen. Im übrigen habe die rotgrüne Mehrheit die Unternehmen wiederholt vor den Kopf gestossen, beispielsweise mit ihrer Verkehrspolitik.
Nur ein «Unfall»
Die Ratslinke entgegnete, die Bürgerlichen hätten selber wiederholt Steuersenkungen verlangt. Hätte man diese tatsächlich beschlossen, wäre das Defizit nun noch grösser, sagte etwa Eva Krattiger (JA!).
Rahel Ruch (Grünes Bündnis) relativierte den «Unfall» von 2019: Bei Einnahmen und Ausgaben von mehr als einer Milliarde seien fehlende Steuereinnahmen von 30 Millionen Franken ja wohl verkraftbar. Im übrigen handle es sich erst um das dritte Defizit in diesem Jahrhundert nach 2001 und 2012.
Eine Frage der Prioritäten
Brigitte Hilty Haller (GFL) stellte sich explizit hinter Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) und den Gemeinderat. Die Stadt lasse sich die hohe Lebensqualität etwas kosten, das sei richtig so. Bei der Ausgabenkürzungen sei es nun wichtig, die Prioritäten richtig zu setzen.
Während Luzius Theiler (GaP) den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen und weltweit anprangerte, warnte Marianne Schild (GLP) vor voreiligen Schlüssen. Noch sei das Ausmass des Defizits gar nicht klar. Eins sei aber unbestritten: «Geld ausgeben ist schön, vor allem wenn es nicht das eigene ist.»
Die Zahlen für 2019 könnten nicht schöngeredet werden, räumte Edith Siegenthaler (SP) ein. Warum die Steuereinnahmen unter den Erwartungen blieben, müsse genau analysiert werden. Eine grundsätzliche Kurskorrektur brauche es aber nicht, Bern müsse eine lebenswerte, attraktive Stadt für alle bleiben.
Wachstum drosseln
Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) verteidigte das Vorgehen der Stadtregierung. Der Gemeinderat habe sich für Transparenz entschieden und die Steuerentwicklung sofort kommuniziert, nicht erst im März bei der Präsentation der Rechnung.
An Ausgabenkürzungen komme man nun natürlich nicht vorbei. Man brauche in Zukunft wohl klarere Prioritäten. Der Gemeinderat halte am Wachstumskurs fest, doch müsse man wohl «ein bisschen Tempo rausnehmen».
Keine Anzeichen
Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) beteuerte, bis im August habe es keinerlei Anzeichen für den Einbruch der Steuereinnahmen gegeben. Die Stadt könne jeweils erst im vierten Quartal erkennen, wohin die Reise führe.
Budgetieren sei keine exakte Wissenschaft, betonte Aebersold. Die Voranschläge würden aber nach bestem Wissen und Gewissen erstellt.
Zwar dürften nun nicht sieben magere Jahre kommen, doch ein einmaliger Ausreisser sei verkraftbar. Wichtig sei, dass man nun rasch reagiere, um 2020 eine möglichst ausgeglichene Rechnung zu erreichen.
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