Ein Komitee aus linksgrünen Parteien, der EVP sowie Organisationen aus dem Sozialbereich engagiert sich gegen die geplanten Kürzungen der Sozialhilfe im Kanton Bern. Es empfiehlt den Stimmberechtigten bei der kantonalen Abstimmung am 19. Mai den Volksvorschlag zu unterstützen.
Die vom Kantonsparlament beschlossene Gesetzesrevision ermöglicht es der Regierung, den Grundbedarf für alle Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger um bis zu acht Prozent unter den Wert zu senken, der in den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) vorgesehen ist. Die Richtlinien definieren das soziale Existenzminimum.
Mit den Leistungskürzungen wollen Regierung und bürgerliche Parlamentsmehrheit erreichen, dass Sozialhilfebezüger keinen höheren Lebensstandard haben als Niedriglohnverdiener. Im Gegenzug sollen die Anreize für die berufliche Integration verstärkt werden.
Linksgrüne Gegner der Gesetzesrevision legen einen eigenen Volksvorschlag vor. Dieser stützt sich auf drei Kernelemente: Unterstützungsleistungen gemäss den SKOS-Richtlinien, gezielte Weiterbildung von Stellensuchenden und bessere Unterstützung für über 55-Jährige, die nach Verlust ihrer Arbeitsstelle ausgesteuert werden.
Nachhaltige Unterstützung
So sollen die Betroffenen unter gewissen Bedingungen Sozialhilfe nach den Ansätzen der Ergänzungsleistungen (EL) für AHV- und IV-Rentner erhalten. Mit dieser Massnahme will das Komitee erreichen, dass die über 55-Jährigen Arbeitslosen, die keinen neuen Job finden, nicht kurz vor der Pensionierung ihr angespartes Geld aufbrauchen müssen.
Im Gegensatz zur «reinen Kürzungsvorlage» der Regierung sei der Volksvorschlag eine nachhaltige Unterstützung der Betroffenen. Da mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert würden, könne der Staatshaushalt Mittel-und längerfristig stärker entlastet werden, betonten verschiedene Exponenten es Komitees am Donnerstag laut Mitteilung.
Unwürdige Kürzungen
Der Kanton Bern dürfe sich mit dem Unterbieten der SKOS-Richtlinien nicht aus seiner Verpflichtung verabschieden, betonte SP-Grossrätin und Vizepräsidentin der SP Kanton Bern, Margrit Junker Burkhard laut Redetext. Die vorgesehenen Kürzungen erlaubten den Betroffenen kein würdiges Leben mehr und schon gar nicht eine Teilhabe am sozialen Leben.
EVP-Grossrätin Barbara Streit gab zu bedenken, dass Sozialhilfebeziehende unter Generalverdacht gestellt würden, dass sie es sich auf Kosten des Staates bequem machten. Ein Blick hinter die Kulissen der Sozialhilfe zeige aber etwas ganz anderes. Rund ein Drittel der Betroffenen arbeite mindestens teilzeitlich, ohne genügend Einkommen generieren zu können. Zudem seien viele von Schicksalsschlägen wie Unfällen, Krankheiten, Scheidungen oder Flucht betroffen.
Die Grüne Grossrätin Andrea de Meuron verwies auf die gute Wirtschaftslage mit sinkenden Arbeitslosenzahlen. Doch die positive Entwicklung ziehe an den über 50-jährigen vorbei. Ältere Ausgesteuerte hätten kaum Chancen, in der Arbeitswelt wieder Fuss zu fassen. Ihnen drohe der Schritt in die Armut. Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, dürfen gemäss de Meuron nicht Opfer einer sich rasch wandelnden Gesellschaft werden.
«Armut ist eine Tatsache und lässt sich nicht weg sparen», betonte Stéphane Beuchat, Co-Geschäftsleiter des Berufsverbandes der Sozialen Arbeit AvenirSocial. Die geplanten Kürzungen führten einzig dazu, dass existenzielle Bedürfnisse der Betroffenen nicht mehr sichergestellt würden.
Thomas Näf vom Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen wehrte sich gegen die Stigmatisierung der Betroffenen als «Müssiggänger oder noch schlimmer: Faulenzer».
Der überwiegende Teil der Sozialhilfeempfangenden wolle arbeiten, finde aber trotz intensiven Bemühungen kaum eine Stelle. «Darum hilft es auch nicht, wenn die angebliche Hängematte tiefer gehängt wird», stellte Näf fest. Der wahre Skandal seien nicht die angeblich zu hohen Sozialhilfeleistungen, sondern die Tieflöhne.
Das Komitee zeigte sich überdies schockiert darüber, dass der Regierungsrat nach einem Bericht von unabhängiger Stelle sein Zahlenmaterial zur Abstimmung um 150 Mio. Franken korrigieren musste. Margrit Junker Burkhard sprach laut Mitteilung von einem Versuch des Gesundheits- und Fürsorgedirektors Pierre Alain Schnegg (SVP) mit falschen Zahlen die Abstimmung zu beeinflussen.
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