Justiz Rennläufer wegen nicht angegebener Preisgelder vor Gericht

hn, sda

11.4.2022 - 09:20

Ein Langstreckenläufer, der als Asylbewerber in der Schweiz lebt, muss sich in Bern vor Gericht verantworten, weil der Preisgelder nicht ordnungsgemäss gemeldet hatte. (Symbolbild)
Ein Langstreckenläufer, der als Asylbewerber in der Schweiz lebt, muss sich in Bern vor Gericht verantworten, weil der Preisgelder nicht ordnungsgemäss gemeldet hatte. (Symbolbild)
Keystone

Ein als Asylbewerber in der Schweiz lebender Langstreckenläufer hat an zahlreichen Strassen- und Publikumsläufen teilgenommen und da und dort Preisgelder gewonnen. Weil er diese den Behörden nicht als Einkünfte angab, steht er nun seit Montag in Bern vor Gericht.

Keystone-SDA, hn, sda

Den «Langstreckler» nimmt man dem drahtigen, durchtrainierten Äthiopier, der vor dem Einzelrichter sitzt, sofort ab. Als Asylsuchender kam er vor rund zehn Jahren in die Schweiz, unterdessen ist sein Asylantrag abgelehnt und er lebt in einer Kollektivunterkunft von acht Franken pro Tag Nothilfe. Das reiche kaum aus, betonte er mehrfach.

Arbeiten, so schärfte man ihm überall ein, dürfe er in der Schweiz ohne entsprechende Papiere nicht. Was ihm im kargen, eintönigen Alltag in einer Asylunterkunft blieb, war das Laufen. Hier spürte er Gemeinschaft und erhielt Anerkennung für seinen Trainingsfleiss und seine Erfolge.

Erfolg und Anerkennung

Stolz habe er jeweils Medaillen und Pokale in die Asylunterkunft zurückgebracht, sagte seine Verteidigerin. Alle hätten von seinen Erfolgen gewusst und ihn unterstützt, er habe dies nie verheimlicht.

Lief er in die vorderen Ränge der Strassenläufe konnte er ein bescheidenes Preisgeld einstreichen, mal einhundert, mal zweihundert oder wenns hoch kam fünfhundert Franken für einen Sieg.

2018 kamen so rund 25'000 Franken zusammen. Sowohl sein Trainer, wie der Trainingskollege sagten dem Gericht, dass nur wirkliche Spitzenläufer auf eine solche Summe kämen. Und der Angeklagte sei zwar oft, aber nicht immer ganz vorne dabei.

Das gewonnene Preisgeld hätte der Läufer einfach ausgeben können, wie das wohl jeder Schweizer oder jede Schweizerin getan hätten. Stattdessen habe ihr Mandant jeden Rappen gespart, mit dem Ziel, einmal ein von der Sozialhilfe unabhängiges Leben in der Schweiz zu führen und für seine beiden Kinder zu sorgen, schilderte seine Verteidigerin.

Dem Angeklagten sei nicht bewusst gewesen, dass auch Preisgelder ein Einkommen darstellten, führte die Verteidigerin ins Feld. «Ich wusste, dass Schwarzarbeit verboten ist – aber Laufen ist nicht Schwarzarbeit, es ist Sport», sagte der Mann vor Gericht. So kam es, dass der Äthiopier die über Jahre zusammen gesparten rund 50'000 Franken bei den Sozialbehörden nicht angab.

Keine Arglist

Das gewonnene Geld deponierte der Mann in bar bei seiner heutigen Ex-Freundin. Sie soll es ihm weggenommen haben, wie er vor Gericht sagte. Ihr Mandant sie daraufhin bei der Polizei vorstellig geworden und habe bereitwillig Auskunft gegeben über die Preisgelder, sagte die Verteidigerin. Hätte er das Geld verheimlichen wollen, hätte er sich anders verhalten. Absicht oder gar Arglist könne man dem Angeklagten nicht vorwerfen.

In einem Nebenpunkt der Anklage wird dem Mann ausserdem vorgeworfen, eine Fernhalteverfügung gegenüber seiner Ex-Freundin nicht eingehalten zu haben. Er soll ihr mit dem Tod gedroht haben. Auch hier führte die Verteidigerin nicht Wissen ins Feld: als man dem Mann erklärt habe, dass er seine Ex-Freundin auch nicht telefonisch kontaktieren dürfe, habe er dies auch nie mehr getan.

Drohender Landesverweis

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Äthiopier Betrug und unrechtmässiger Bezug von Leistungen der Sozialhilfe vor. Sie fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von acht Monaten und einen Landesverweis von sechs Jahren. Der Angeklagte beteuerte vor Gericht, dass ihn eine Rückkehr nach Äthiopien in Gefahr bringen würde.

Die Verteidigerin forderte das Gericht dringlich auf, von einem Landesverweis abzusehen. Dabei gehe es nicht nur um die politische Lage im Heimatland des Angeklagten, sondern auch um menschenrechtliche Fragen. Sie verwies auf Artikel acht der europäischen Menschenrechtskonvention, der ein Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens garantiere.

Durch einen Landesverweis werde der Äthiopier von seinen beiden in der Schweiz lebenden Kindern im Kindergarten- und Schulalter getrennt. Für die Kinder wäre dies eine «Totalverlust».

Das Urteil wird das Gericht am späten Dienstagnachmittag bekanntgeben.