Sozialhilfe Sozialhilfekürzungen: Kanton Bern ficht Statthalterentscheid an

sr, sda

16.6.2021 - 14:22

Budgetberatung eines Sozialarbeiters mit einer unterstützten Person im Kanton Aargau. (Archivbild)
Budgetberatung eines Sozialarbeiters mit einer unterstützten Person im Kanton Aargau. (Archivbild)
Keystone

Der Kanton Bern akzeptiert nicht, dass der Berner Regierungsstatthalter kürzlich im Fall einer vorläufig aufgenommenen fünfköpfigen Familie die Kürzung der Sozialhilfe als unzulässig bezeichnete. Der Kanton Bern zieht den Statthalterentscheid ans kantonale Verwaltungsgericht weiter.

Keystone-SDA, sr, sda

Wie die kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) am Mittwoch mitteilte, ist der Kanton Bern der Auffassung, er sei zur Beschwerde berechtigt. Dies, weil der Entscheid des Regierungsstatthalters eine sehr hohe präjudizielle Wirkung habe, also bedeutsam sei für die Beurteilung künftiger Fälle.

Auch sei es wichtig, die Rechtmässigkeit der Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Personen gerichtlich zu klären. Der Statthalterentscheid hat in den Berner Medien in den letzten Wochen viel zu reden gegeben.

«Unsachgemässe Darstellung»

Die von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) geführte GSI macht dem Berner Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) in ihrer Mitteilung auch den Vorwurf, die Integrationspolitik des Kantons Bern unsachgemäss dargestellt zu haben.

Eine gemeinsam vom Bund und allen Kantonen verabschiedete Integrationsagenda verfolge das Ziel, Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Menschen rascher zu integrieren. Die Sozialhilfeabhängigkeit und Fehlanreize seien zu reduzieren.

Dass vorläufig aufgenommene Personen Sozialhilfeansätze unter jenen der Flüchtlinge sowie der Einheimischen erhalten würden, sei weder eine Idee des Kantons Bern noch neu. Vielmehr handle es sich um eine langjährige Praxis, die schon im früheren Asylgesetz klar benannt worden sei.

Bei der Revision dieses Gesetzes habe das nationale Parlament diese Bestimmung diskutiert und verschärft: Aus einer Kann-Bestimmung sei eine Soll-Bestimmung geworden. In ihrer Mitteilung zitiert die GIS Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die sich in der Wintersession 2012 im Nationalrat in diesem Sinn äusserte.

Es mache Sinn, schreibt die GIS weiter, dass vorläufig Aufgenommene – und somit Menschen mit rechtskräftig abgewiesenem Asylgesuch – andere Rechte und Pflichten hätten als Einheimische oder Leute mit einem bewilligten Asylgesuch.

Von 2364 auf 1684 Franken

Der Berufsverband für soziale Arbeit Avenirsociale machte Mitte Mai publik, dass der Berner Regierungsstatthalter die Kürzung des Grundbedarfs für die genannte fünfköpfige Familie als unzulässig bezeichnet hatte. Es ging um eine Kürzung von bisher 2364 auf 1684 Franken. Avenirsociale unterstützte die Beschwerde der betroffenen Familie.

Das Regierungsstatthalteramt hielt fest, der Regierungsrat dürfe die Höhe der Sozialleistungen in einer Verordnung regeln. Dabei müsse er sich aber an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten. Die Verordnung mit der Kürzung für eine Personengruppe widerspreche dem im kantonalen Sozialhilfegesetz verankerten Gleichbehandlungsgebot.

Das Kantonsparlament hatte die Ungleichbehandlung bei der Revision des Sozialhilfegesetzes zwar festschreiben wollen. Das Berner Volk als oberster Gesetzgeber lehnte das revidierte Gesetz aber in der Abstimmung vom 19. Mai 2019 ab.

Die Ungleichbehandlung durch den Grossen Rat war damit hinfällig und mithin durch den Volksentscheid klar nicht vorgesehen, wie der Regierungsstatthalter schrieb. Somit missachte die Kürzungsverordnung der GIS im Fall der genannten Familie den Volkswillen und die demokratischen Rechte.

Die Kürzung widerspreche im Weiteren dem für alle Staatstätigkeiten verbindlichen Legalitätsprinzip, das die Bürger vor staatlicher Willkür schütze.