Justiz Wegen Erinnerungslücken: Verteidigung fordert Freispruch

SDA

16.10.2019 - 21:06

Vor dem Regionalgericht in Bern muss sich eine 28-jährige Ungarin wegen vorsätzlicher Tötung ihres Freundes verantworten.
Vor dem Regionalgericht in Bern muss sich eine 28-jährige Ungarin wegen vorsätzlicher Tötung ihres Freundes verantworten.
Source: KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Eine 28-jährige Ungarin steht in Bern wegen vorsätzlicher Tötung ihres Freundes vor Gericht. Die Verteidigung fordert einen Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine neunjährige Freiheitsstrafe.

Die kleingewachsene und eher zierliche Angeklagte gab an, sich nicht mehr an die Minuten zu erinnern, in denen ihr damaliger Freund eine Stichwunde in die Brust erhielt. An Dinge, die unmittelbar vor und nach der Tat geschahen, erinnerte sie sich hingegen schon.

Allerdings zeigte sie sich vor Gericht recht bockig und wollte die Fragen nur zögerlich oder gar nicht beantworten. Sie habe alles schon mehrfach geschildert, sagte sie mehrfach genervt.

Eskalierender Streit

Klar ist, dass das Paar, das erst gute zwei Monate zusammen war, sich am Abend der Tat in der Wohnung des Mannes in Schwarzenburg stritt. Der Streit wurde zuerst verbal ausgetragen, dann soll es auch zu Tätlichkeiten gekommen sein.

Die Angeschuldigte rief schliesslich bei der Sanitätspolizei an, sie solle kommen und ihren Freund holen. Dieser habe Alkohol- und Drogenprobleme. Vor Gericht gab die Angeklagte an, sie habe mehrfach bei ihrem Freund Röhrchen gefunden, mit denen harte Drogen konsumiert werden könnten. Sie habe Angst gehabt, er sei rückfällig geworden.

Warum sie ausgerechnet am Tatabend spät die Ambulanz rief, wo sie doch schon länger den Verdacht hatte, ihr Freund könnte Drogen konsumieren, konnte sie nicht schlüssig beantworten. Auch weitere Widersprüche blieben im Verlauf der Befragung ungelöst.

«Messer ins Herz bekommen»

Der Streit des Paares habe sich wohl auch um seine Zukunft gedreht. Denn: Der 55-Jährige habe zunehmend das Vertrauen in die Frau verloren – unter anderem auch, weil sie sein Bankkonto geplündert hatte. So schilderte die Staatsanwältin die Sache. Die Angeklagte wiederum habe nicht von ihrem Freund vor die Tür gestellt werden wollen.

Weil sie wollte, dass der Mann endlich Ruhe gibt, habe die Angeschuldigte die Ambulanz angerufen. Der Mann geriet in Rage, als er merkte, dass der Krankenwagen tatsächlich unterwegs war.

Die Angeklagte ging daraufhin in die Küche und ergriff ein Rüstmesser. Ihr Freund bewegte sich schreiend auf sie zu, da stach sie ihm das Messer in die Brust, so die Geschehnisse aus Sicht der Staatsanwaltschaft.

Diesmal telefonierte der Verletzte selber der Ambulanz: Er habe ein Messer ins Herz bekommen, sagte er. Die Stichwunde war äusserlich nicht besonders schlimm. Der Mann erlag allerdings noch am Tatort in seiner Wohnung schweren inneren Blutungen.

Die Staatsanwältin forderte für die Angeklagte eine neunjährige Freiheitsstrafe. Auf eine Massnahme plädierte sie nicht, da diese vom begutachtenden Psychiater nicht empfohlen werde. Weiter forderte die Staatsanwältin einen 15-jährigen Landesverweis und dass die Frau weiterhin in Sicherheitshaft bleibt.

Der Anwalt der beiden Söhne des Todesopfers verzichtete auf die Festlegung der Höhe einer Genugtuung. Weiter machte er für seine Mandanten Entschädigungen geltend.

Die Söhne hatten ihren Vater als liebevollen Menschen beschrieben. Es sei bestimmt nicht immer einfach gewesen. Gerade als der Vater an manischen Depressionen gelitten habe, sei er manchmal kaum ansprechbar gewesen. Dennoch sagten beide, sei er für sie eine Vertrauensperson gewesen.

Zwei schwierige Leben

Die Verteidigerin zeichnete ein düsteres Bild der Vergangenheit der jungen Ungarin und des 55-jährigen Mannes auf. Beide hätten eine schwere Bürde zu tragen gehabt. Er litt an einer bipolaren Störung, war arbeitslos und von der Sozialhilfe abhängig. Sie wuchs in Ungarn in einem Heim auf und musste sich seit ihrem elften Lebensjahr prostituieren.

Menschenhändler hätten die Ungarin mit 19 Jahren in die Schweiz gebracht, wo sie anschaffen musste. Sie habe ihren Zuhälter angezeigt. Es kam zu einem Schuldspruch. Doch auch danach sei das Leben der Ungarin nicht besser geworden. Ausgehalten habe sie es nur mit Alkohol und Drogen.

Weil sich ihre Mandantin nicht an die entscheidenden Minuten der Tat erinnern könne, bleibe diese Zeit «eine Blackbox». Es lasse sich auch nicht ausschliessen, dass sich der Mann die Verletzung selbst zugefügt oder die Frau in Notwehr gehandelt habe. Deshalb sei die Frau freizusprechen. Das Urteil wird am Freitag eröffnet.

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