Ostschweiz Medikamentenversuche in St. Galler Psychiatrie untersucht

ka, sda

21.12.2022 - 16:29

Im Kanton St. Gallen hat eine Untersuchung festgestellt, dass in den Psychiatrischen Kliniken von 1950 bis 1980 keine systematischen Medikamentenversuche ohne Einwilligung stattgefunden haben. (Symbolbild)
Im Kanton St. Gallen hat eine Untersuchung festgestellt, dass in den Psychiatrischen Kliniken von 1950 bis 1980 keine systematischen Medikamentenversuche ohne Einwilligung stattgefunden haben. (Symbolbild)
Keystone

Im Kanton St. Gallen sind die Psychopharmaka-Versuche in psychiatrischen Kliniken bis 1980 untersucht worden. Es habe keine systematische Abgabe von Medikamenten zu wissenschaftlichen Zwecken gegeben, lautet das Ergebnis. Zu diesem Thema gibt es nun eine Anlaufstelle.

ka, sda

Die Untersuchung sollte klären, wieweit in den beiden psychiatrischen Kliniken des Kantons St. Gallen, in Wil und in St. Pirminsberg, in der Zeit zwischen 1950 und 1980 Medikamentenversuche stattgefunden haben.

Dazu hat die Regierung eine Pilotstudie in Auftrag gegeben, die die damalige Praxis untersuchte. Die Ergebnisse wurden danach durch ein juristisches Gutachten bewertet.

Die Regierung nehme mit Erleichterung zur Kenntnis, dass ohne Einwilligung keine «systematische experimentelle Abgabe» von Medikamenten erfolgt sei, heisst es in der Mitteilung des Kantons vom Mittwoch. Testsubstanzen seien im Sinne von Heil- oder Therapieversuchen und nicht als Humanexperiment mit rein wissenschaftlicher Zielsetzung verabreicht worden.

Überall gab es Medikamentenversuche

Das konkrete Ergebnis der Untersuchung: Bei Stichproben von 1042 Patientenakten hätten 67 Patientinnen und Patienten mindestens eine Substanz erhalten, die zum Zeitpunkt der Verabreichung (noch) nicht zugelassen war, heisst es in der Pilotstudie von Marina Lienhard.

Wie in allen bisher erforschten Deutschschweizer Kliniken seien auch in Wil oder St. Pirminsberg Medikamentenversuche durchgeführt und Substanzen verabreicht worden, die noch nicht zugelassen waren. Eine Einwilligung sei dabei meist nicht eingeholt worden. Bis 1980 war dies auch nicht vorgeschrieben.

Für die Versuche hätten die St. Galler Kliniken Gratismedikamente der Pharmaindustrie erhalten. Weiter würden durch die Studie auch Zahlungen für eine Versuchsreihe belegt. Für den Wiler Chefarzt und Klinikleiter Walter Pölsinger seien ausserdem Honorarzahlungen im Wert von mehreren zehntausend Franken von Ciba Geigy für Forschung in Wil dokumentiert.

In der Stichprobe fänden sich Hinweise, dass die Testmedikamente teilweise auch unter Zwang verabreicht worden seien, heisst es weiter. Zudem seien sie beim Auftreten von Nebenwirkungen oder Wirkungslosigkeit nicht in jedem Fall sofort abgesetzt worden.

Allerdings lasse sich den Quellen «kein systematischer Machtmissbrauch» entnehmen. Hingegen seien auch Fälle dokumentiert, in denen Medikamente auf Wunsch von Patientinnen und Patienten abgesetzt und erfolglose Behandlungen abgebrochen wurden.

Gewisse Unsicherheit bleibt

Zu einem ähnlichen Schluss kommt das juristische Gutachten von HSG-Professor Lukas Gschwend. Es könnten keine schweren oder systematischen Rechtsverletzungen durch Medikamententests festgestellt werden, schrieb er.

Ein gewisse Unsicherheit bleibe wegen der stichprobenartigen Erfassung der Fälle. Insbesondere die Praxis des Einsatzes von Probesubstanzen an der KPK Wil in den 1970er Jahren durch den in der Forschung aktiven ärztlichen Direktor Walter Pöldinger lasse sich anhand der Patientinnen- und Patientendossiers kaum überprüfen.

Für die Regierung ist das Thema mit der Untersuchung nicht abgeschlossen. Sie will Betroffene bei einem Verdacht auf Verabreichung von nicht zugelassenen Medikamenten ohne Einwilligung bei der Aufarbeitung der persönlichen Geschichte unterstützen. Es geht dabei um Fälle in einer kantonalen Psychiatrischen Klinik zwischen 1950 und 1980.

Dafür wird ab Januar 2023 eine Anlaufstelle eingerichtet, die hilft, Patientenakten zu beschaffen. Mit einem Psychiater und einer Psychiaterin ist dann eine Sichtung der Krankenakten möglich. Die Anlaufstelle ist auf ein Jahr befristet, eine Verlängerung ist möglich.