Medien Rolf Rechsteiner: Politik in Innerrhoden ist aufmüpfiger geworden

SDA

6.7.2020 - 11:35

Rolf Rechsteiner, ehemaliger Chefredaktor des «Appenzeller Volksfreund», aufgenommen am Mittwoch, 1. Juli 2020, in Appenzell.
Rolf Rechsteiner, ehemaliger Chefredaktor des «Appenzeller Volksfreund», aufgenommen am Mittwoch, 1. Juli 2020, in Appenzell.
Source: KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

Appenzell Innerrhodens Politik hat sich in den letzten 20 Jahren emanzipiert: Was «von oben» kommt, wird nicht mehr einfach abgenickt. Rolf Rechsteiner, abtretender Chefredaktor des «Appenzeller Volksfreunds», spricht von einem grösser gewordenen Widerspruchsgeist.

Diese wichtige Entwicklung zeige sich beispielsweise im Grossen Rat, erklärt Rechsteiner im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Der 64-jährige Journalist berichtete während zwei Jahrzehnten über das Geschehen im gut 16'000 Einwohner zählenden Kanton. Nun geht er in Pension.

Ursprünglich Primarlehrer in Oberegg, übernahm Rechsteiner Anfang 2000 die Leitung der Redaktion beim «Volksfreund». Damals war Obrigkeitsgläubigkeit im katholischen Appenzell noch verbreitet. Von «Politikern, die unvorteilhaft über sich hinauswachsen», schrieb er Jahre später, als die Diskussion um das Doppelmandat Landammann und Bundesparlamentarier Fahrt aufnahm.

Klar hätten Politiker manchmal versucht, auf seine bisweilen spitze Feder Einfluss zu nehmen, erinnert sich der im Dorf Appenzell aufgewachsene Arbeitersohn. Ab und zu eckte er mit seinen Leitartikeln an. Er sei aber deswegen nie zur Standeskommission (Regierung) zitiert worden, betont er. Einmal habe er in seinen Anfängen selber eine Aussprache verlangt, als die offene Kommunikation einseitig blockiert wurde.

Lästige Fragen unerwünscht

«Investigativen Journalismus haben wir nie betrieben», ist sich der abtretende Chefredaktor bewusst. Innerrhoder Behörden informieren in der Regel «dann, wenn eine Lösung spruchreif ist». Bohrende Nachfragen von Medienschaffenden werden von den Behörden nicht goutiert; die Rede ist schnell von «laufenden Verfahren».

Aussenstehende überschätzen laut Rechsteiner das Parteiensystem im «so genannten CVP-Kanton». Eine CVP-Kantonalpartei sei erst in den 1980er-Jahren gegründet worden, um den späteren Bundesrat Arnold Koller zu portieren. Inzwischen sind SVP, SP und FDP als Kantonalparteien dazugekommen.

Doch haben die Verbände, namentlich der Gewerbeverband, mehr Gewicht. Viele Mitglieder des Innerrhoder Grossen Rats gehören keiner Partei an. Sachfragen werden inzwischen – wenn überhaupt – an überparteilichen Podien öffentlich diskutiert.

Brisante Geschichten? Rechsteiner nennt etwa «das Theater um Doktor Mang», der in Appenzell als Schönheitschirurg praktizierte, sich einbürgern liess, dann aber nach Rorschacherberg SG wegzog. Journalistisch heikel war auch die Freistellung des früheren Leitenden Staatsanwalts, der die Untersuchung eines tödlichen Unfalls eines Lehrlings verschleppt haben soll.

Breit abgestützte Genossenschaft

Wie kann eine kleine Zeitung wie der «Volksfreund» (Auflage: 5158 Exemplare) angesichts der zunehmenden Medien-Konzentration überleben? Ein Vorteil sei die breite Abstützung als Genossenschaft, sagt Rechsteiner. Jedes Mitglied ist mit nur einem Anteilschein beteiligt. Shareholder, die Rendite abschöpfen, gibt es nicht.

Die Eigenständigkeit der Zeitung ist – typisch für Innerrhoden – in den Statuten festgeschrieben. Dies würde eine allfällige Übernahme des «Volksfreunds» durch ein anderes Unternehmen erschweren.

Die vier Mal pro Woche erscheinende Zeitung setzt auf ausführliche lokale Berichterstattung. «Wir bilden das ab, was die grossen Medien nicht interessiert. Unsere Leserschaft erfährt, was in Kanton und Bezirken (Gemeinden) läuft und was mit dem Steuerfranken geschieht.» Neben der Printausgabe betreut die «Volksfreund»-Redaktion auch die Online-Plattform appenzell.24, welche auch Ausserrhoden mit Kurzmeldungen abdeckt.

Aktuell gibt die Debatte um ein neues Spital in Appenzell viel zu schreiben. Der Neubau für 40 Millionen Franken erscheine mit Blick auf die Entwicklung der Spitallandschaft «zunehmend abenteuerlich», findet Rechsteiner. Seine Umsetzung würde aber die Position Innerrhodens bei Verhandlungen mit anderen Spitalregionen stärken.

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