ProzessWeidenetz als tödliche Falle: Landwirt fordert Freispruch
SDA
8.6.2020 - 14:54
Zäune und ihre Folgen für Wildtiere beschäftigen im Kanton St. Gallen nicht nur die Politik, sondern auch die Justiz: Ein Reh, das sich in einem Weidenetz verfing und daran zugrunde ging, war am Montag Gegenstand einer Verhandlung am Kantonsgericht. Ein St. Galler Landwirt wehrte sich gegen eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tierquälerei.
Im Sommer 2018 zäunte der Landwirt sein Wiesland für seine Schafe mit einem rund einen Meter hohen Weidenetz ein. Nach dem Abweiden blieb der Zaun entlang des Waldrandes mehrere Wochen stehen, obwohl keine Schafe mehr auf die Wiese gelassen wurden.
Ein Wildhüter entdeckte Mitte Oktober den Kadaver einer erwachsenen Rehgeiss. Das Wildtier hatte sich laut Anklageschrift im Netz verheddert, einen Teil des Zauns in den Wald gerissen und sich in den Maschen selbst stranguliert.
Dem Beschuldigten sei bekannt gewesen, dass sich Wildtiere immer wieder in den Weidenetzen verfingen und verendeten. Er habe darauf keine Rücksicht genommen, weil es ihm im steilen Gelände zu mühsam war, den Zaun zu entfernen, argumentierte die Anklage.
Das Kreisgericht Wil verurteilte den Landwirt im Mai 2019 wegen fahrlässiger Tierquälerei sowie fahrlässiger Übertretung des kantonalen Jagdgesetzes zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen sowie zu einer Busse von 420 Franken.
Der Landwirt, der auch noch als Metzger und Gastwirt tätig ist, legte gegen das Urteil Berufung ein und forderte einen Freispruch. Wenn das Reh nicht von einem Hund oder einem Wildtier gejagt worden wäre, hätte es auf beiden Seiten des Zauns wegrennen können, sagte der 60-Jährige am Montag vor Gericht.
Er stelle seit 40 Jahren solche Netze auf und es habe sich noch nie ein grösseres Tier darin verfangen. Auch habe er in der Umgebung der Parzelle noch nie ein Wildtier gesehen.
Vorgaben für Weidenetze umstritten
Sein Verteidiger fragte sich, ob es Zufall sei, dass die Verhandlung eine Woche nach der Session des St. Galler Kantonsrats stattfinde. Die Mehrheit des Parlaments lehnte am vergangenen Dienstag die Initiative «Stopp dem Tierleid» ab und verlangte von der Regierung einen Gegenvorschlag.
Die Volksinitiative richtet sich gegen Zäune als Todesfallen für Wildtiere. Sie wurde gemeinsam von Pro Natura, WWF und den St. Galler Jägern lanciert. Unter anderem will die Initiative ein Verbot von Stacheldraht im kantonalen Jagdgesetz. Ungenutzte Weidenetze sollen innert zwei Wochen entfernt werden.
Diese Frist sei dem Parlament zu streng gewesen, so der Verteidiger. Das Jagdgesetz richte sich gar nicht an die Landwirte, sondern an die Jäger und Wildhüter. «Der Wildhüter hätte die Beseitigung des Weidenetzes anordnen müssen,» sagte er. Es sei auch nicht erwiesen, woran die Rehgeiss gestorben sei.
Unnötige Zäune sind verboten
Der Staatsanwalt forderte die Abweisung der Berufung. Unnötige Zäune seien im Lebensraum der Wildtiere verboten. Auch am Waldrand seien solche Zäune nicht erlaubt. Der Tod des Rehs hätte vermieden werden können. Der Landwirt zeige in seinem Verhalten keine Einsicht. Die Vorinstanz habe dem mehrfach wegen Tierquälerei vorbestraften Mann keine günstige Prognose gestellt.
Das Urteil wird vom Kantonsgericht St. Gallen schriftlich bekannt geben.
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