Kriminalität Bezirksgericht spricht Alt-Stadtpräsident Estermann frei

leph, sda

24.6.2022 - 10:38

Der frühere Zürcher Stadtpräsident Josef Estermann (SP) engagierte sich 2020 im Abstimmungskampf gegen den Rosengartentunnel - und erhielt dafür wegen Geheimnisverletzung einen Strafbefehl. Am Freitag hob das Bezirksgericht diesen auf. (Archivbild)
Der frühere Zürcher Stadtpräsident Josef Estermann (SP) engagierte sich 2020 im Abstimmungskampf gegen den Rosengartentunnel - und erhielt dafür wegen Geheimnisverletzung einen Strafbefehl. Am Freitag hob das Bezirksgericht diesen auf. (Archivbild)
Keystone

Das Bezirksgericht Zürich hat Alt-Stadtpräsident Josef Estermann (SP) am Freitag freigesprochen. Er zitierte im Januar 2020 im Abstimmungskampf zum Rosengartentunnel aus geheimen Protokollen einer Kantonsratskommission.

Keystone-SDA, leph, sda

Estermann stand am Freitag wegen der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen vor dem Richter. Das Statthalteramt hatte den heute 74-Jährigen deswegen im März 2021 zu einer Busse von 800 Franken sowie Gebühren von 550 Franken verurteilt. Dagegen wehrte er sich vor Gericht.

Der Fall geht zurück auf den Abstimmungskampf zum Rosengartentunnel in der Stadt Zürich. Estermann, der das Projekt bekämpfte, zitierte im Januar 2020 in Interviews mit der «NZZ» und dem «Tages-Anzeigers» aus Protokollen der kantonsrätlichen Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt (KEVU). Deren Verhandlungen und Protokolle sind aber nicht öffentlich.

Führt der Tunnel zu mehr Verkehr oder nicht?

Im Zentrum stand die Frage, ob mit dem Rosengartentunnel die Kapazität für den Strassenverkehr ausgebaut würde oder nicht. Laut Abstimmungszeitung war dies nicht der Fall. Flankierende Massnahmen sollten dies verhindern.

In der KEVU sagte ein Chefbeamter des Kantons gemäss den von Estermann zitierten Protokollen jedoch das Gegenteil: Es werde mehr Kapazität im Strassenverkehr und im öffentlichen Verkehr angestrebt. Die KEVU war es auch, die nach Veröffentlichung von Auszügen aus ihren Protokollen Anzeige einreichte.

Laut Estermann, der ohne Anwalt vor Gericht erschien, war eine Veröffentlichung dieser Information im Abstimmungskampf von grossem öffentlichem Interesse. «Demokratie lebt von Transparenz. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie Vorlagen zustande gekommen sind», sagte er.

Dies zu verbieten wäre seiner Ansicht nach ein Verstoss gegen die in der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Informationsfreiheit.

Öffentliches Interesse überwiegt

Gemäss dem Richter überwogen die öffentlichen Interessen an einer Veröffentlichung in diesem Fall das Interesse des Staates an der Geheimhaltung tatsächlich. «Ob es mehr Strassenverkehr geben wird oder nicht war eine zentrale Frage im Abstimmungskampf», sagte er.

Im Kontext der in der Abstimmungszeitung veröffentlichten Informationen seien die Äusserungen in der Kommission relevant gewesen. Der Rosengartentunnel wurde schliesslich am 9. Februar 2020 von den Stimmberechtigten des Kantons mit mehr als 60 Prozent Nein-Stimmen deutlich bachab geschickt.

Das Urteil des Bezirksgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Es kann an das Obergericht weitergezogen werden. Noch hängig sind die Verfahren gegen die an den Artikeln beteiligten Journalistinnen und Journalisten von «NZZ» und «Tages-Anzeiger».

Auch sie haben ihre Strafbefehle angefochten. Sollte das Urteil gegen Estermann rechtskräftig werden, dürften auch die Journalisten freigesprochen werden.