Das Züricher Obergericht hat am Donnerstag einen Osteopathen wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und unterlassener Nothilfe zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Es bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil des Bezirskgerichts Hinwil ZH.
Im Unterschied zur ersten Instanz verzichteten die Oberrichter auf eine Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Jahre. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Um eine Meldung an die Gesundheitsdirektion allerdings «kommen wir nicht herum», sagte der vorsitzende Richter.
Diese hat dann allfällige Konsequenzen für den nach wie vor praktizierenden Osteopathen zu prüfen. Sie können von gewissen Auflagen bis hin zu einem Berufsverbot reichen. Im Kanton Zürich sind Tätigkeiten im Bereich der nichtärztlichen Alternativ- und Komplementärmedzin normalerweise nicht bewilligungspflichtig.
«Facharzt nötig»
Zu beurteilen war ein Vorfall vom 23. Dezember 2014. Am Mittag jenes Tages kam eine heute 38-jährige Patientin für ihre dritte Behandlung zu dem Osteopathen. Sie litt unter starken Verspannungen im Schulterbereich, klagte über Kopfschmerzen und Schwindel und hatte Probleme, den Kopf aufrecht zu halten.
Dies hätte der Therapeut als Hinweise auf eine Durchblutungsstörung erkennen müssen, sagte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung. Er hätte die Patientin nicht behandeln dürfen, sondern hätte sie umgehend für weitere Abklärungen an einen Facharzt überweisen müssen.
Dennoch habe er die «risikobehaftete Aufgabe» übernommen, der er «nicht gewachsen war». Nach Manipulationen im Halswirbelbereich erlitt die Frau einen Hirnschlag. Ihr drohten «ein schwerer Hirnschaden oder gar der Tod». Der Therapeut habe «den Schlaganfall klar verursacht» erklärte der Richter.
Der medizinische Gutachter stellten im Nachhinein fest, vor jenem 23. Dezember seien in den Wirbelarterien der Frau die inneren Gefässwände gerissen. Dadurch bildete sich ein Thrombus, also ein Blutgerinnsel. Dieses löste sich laut Gutachten «mit grösster Wahrscheinlichkeit anlässlich der Behandlung vom 23. Dezember». Es kam zum Hirnschlag.
«Mangelnde Kenntnisse»
Das Gericht anerkannte, dass der Mann die Patientin nicht willentlich einer schweren Gefahr aussetzte. Mangelnde Kenntnisse und möglicherweise Zeitmangel hätten zu dem Vorfall geführt.
Der Belgier besitzt ein Osteopathie-Diplom aus seiner Heimat. Die interkantonale Osteopathen-Prüfung verpatzte er allerdings dreimal und wurde dann dafür gesperrt. Im Prüfungsbericht verwiesen die Experten auf mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten. Er selbst machte Sprachprobleme geltend.
Angesichts der Symptome – Schwindel, Sprechschwierigkeiten, Lähmungsgefühle – hätte der Beschuldigte einen Hirnschlag erkennen müssen. Dies habe er auch, hatte er zu Beginn der Untersuchung gesagt. Davon wollte er vor Obergericht allerdings nichts mehr wissen – er wolle diese Aussage ändern, sagte er. Er habe das nicht sofort bemerkt.
Nachdem er den Schlaganfall verursacht hatte, wäre er zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen. Aber er rief nicht die Ambulanz, sondern rief den Ehemann der Frau an, der seinerseits die Sanität alarmierte. Dank rascher Hilfe im Spital konnten schwere Dauerschäden vermieden werden. Der Beschuldigte machte sich damit der unterlassenen Nothilfe schuldig.
«Kein Behandlungsfehler»
Der Therapeut wies den Vorwurf eines Behandlungsfehlers zurück. Einen Fehler habe er allerdings gemacht, als er die Ambulanz nicht gerufen habe. Dies habe er unterlassen, weil die Patientin das nicht gewollt habe. Heute würde er in einem ähnlichen Fall «nicht diskutieren», sondern sofort die Ambulanz rufen.
Dass die Patientin keine ärztliche Hilfe gewollt habe, glaubte das Gericht dem Beschuldigten nicht. Das sei nicht nachvollziehbar bei ihrem damaligen Zustand. Sie habe das später auch anders ausgesagt.
Der Verteidiger plädierte erfolglos für einen vollumfänglichen Freispruch. Es sei nicht bewiesen, dass sein Mandant den Hirnschlag verursacht habe. Die Frau habe ein grosses finanzielles Interesse an einer Verurteilung des Osteopathen, habe sie doch Forderungen in Höhe von rund 1,3 Millionen Franken gestellt. Dem widersprach das Gericht, welches die Aussagen der Frau als sehr glaubhaft einstufte.
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