Halbzeit in der Gruppenphase der Champions League: YB hat gegen jeden Gegner einmal gespielt und dabei eine gute Figur gemacht, wenn sie ihrem Offensivdrang nachgaben. Die 1:4-Niederlage gegen Villarreal wäre absolut zu verhindern gewesen, meint blue-Experte Marcel Reif.
Eine Niederlage bleibt eine Niederlage, zog Sandro Lauper als Fazit nach dem 1:4 gegen Villarreal. Auch Trainer David Wagner analysierte den Match wenige Minuten nach dem Spiel mit düsterer Miene. Die Enttäuschung sass tief bei den Bernern nach einer Partie, in der sie sich für den grossen Aufwand nicht belohnen konnten. «Die Effektivität ist das grosse Thema», sagte Wagner.
YB vergab eine ganze Reihe von Chancen nach dem frühen 0:2. Das Positive ist, dass die Berner überhaupt zu diesen Möglichkeiten kamen. Sie brachten den Europa-League-Sieger ins Wanken, als sie begannen zu agieren und zu pressen. Es ist eine der Erkenntnisse aus den ersten drei Runden der Champions League: YB ist auch auf diesem Niveau dann am besten, wenn es selber aktiv ist.
So sieht es auch blue-Experte Marcel Reif, der sagt: «Die Niederlage war nicht notwendig. Wir haben uns gefragt, was David Wagner genau vorhat (mit seiner defensiven Aufstellung). Am Ende müssen wir sagen, dass er sich nach dem Gegner gerichtet hat.» Der YB-Coach wollte offenbar auf Konter setzen. Nach den beiden frühen Gegentoren war dieser Plan aber schnell futsch.
Reif: «Wagner wollte die Stärken des Gegners unterbinden. Doch damit hat er die eigene Mannschaft geschwächt. Für mich war das eine falsche taktische Grundeinstellung. Das hat mindestens auch das erste Gegentor gekostet. Und auch der Freistoss vor dem zweiten Treffer entstand über diese rechte Abwehrseite.»
Moumi Ngamaleu, normalerweise auf dem linken Flügel beheimatet, machte den Rechtsverteidiger. «Das passte nicht», so Reif. «Sie haben etwas gespielt, was sie nicht können und wohl noch nie gemacht haben. Das ist schiefgegangen.» Hätten die Berner von Anfang an so offensiv gespielt, wie man das von ihnen gewohnt ist, wäre mehr drin gelegen, ist sich Reif sicher: «Ein Unentschieden mindestens. Ich glaube sogar, dass sie dieses Spiel hätten gewinnen können.»
«Wir waren zuerst abwartend»
In den letzten beiden Spielen gegen Atalanta Bergamo und Villarreal fanden die Berner jeweils zu spät zu ihrem Angriffsfussball. In Italien beschränkte sich YB auch notgedrungen fast ausschliesslich aufs Verteidigen, gegen die Spanier brauchte es zwei frühe Gegentore, damit es die Initiative ergriff. «Wir waren zuerst abwartend. Wir wollten ab der Mittellinie angreifen. Nach den zwei Gegentoren haben wir uns gesagt: ‹Wir gehen nach vorne pressen›», erklärte Michel Aebischer.
Die anfänglichen Probleme mit der nicht ganz klaren Zuteilung, die der Mittelfeldspieler ebenfalls ansprach, war auch auf die Taktik zurückzuführen, die Wagner gewählt hatte. Der Plan mit den fünf Verteidigern war gewagt und spielerisch nur halbwegs ein Erfolg. Was vorne klappte, war hinten fragil. Aus dem Nichts kam die Formation aber nicht. Man habe das System schon früher eingeübt, sagte Lauper.
YB ist frei am besten
Für Wagner sind die taktischen Vorbereitungen auf die Spiele nicht einfach. Die Young Boys treten in der Champions League immer gegen einen Gegner an, der personell besser bestückt ist. Da ist es verführerisch, sich anzupassen und zu versuchen, den Favoriten zu überraschen. Villarreals Trainer Unai Emery war tatsächlich erstaunt, dass seiner Mannschaft in den ersten 20 Minuten das Spieldiktat überlassen wurde.
Ein zu starres taktisches Korsett scheint YB aber nicht zu passen. Der Schweizer Meister lebt speziell auf diesem Niveau von seiner Energie und Physis, die besser zum Ausdruck kommt, wenn das Team freien Lauf hat. Eine offensive Ausrichtung kann zwar dazu führen, dass eine Niederlage – wie gegen Villarreal – deutlicher ausfällt, als sie sollte, aber sie ermöglicht auch, sich in einem guten Licht zu präsentieren.
Nur das Beste ist gut genug
Die Young Boys haben sich nicht nur dank dem sensationellen Sieg gegen Manchester United in der ersten Hälfte der Gruppenphase gut verkauft. Sie zeigten in allen Spielen Moral und waren gegen keinen der hochkarätigen Gegner überfordert. «Wir haben in den beiden Heimspielen gut mitgehalten und sogar eines gewonnen. In Bergamo hatten wir nicht unseren besten Tag. Da war die Differenz etwas grösser», blickte Aebischer zurück auf die intensiven letzten Wochen.
Es geht für YB nun im gleichen Rhythmus weiter. Bereits in knapp zwei Wochen steht das zweite Duell gegen Villarreal an. Mit einigen Erkenntnissen mehr werden die Berner nach Spanien reisen. Eine Voraussetzung für Erfolg ist aber die gleiche wie seit Beginn der Kampagne und diese rief Wagner am Mittwochabend in Erinnerung: «Wir brauchen in dieser Liga absolute Topleistungen, vielleicht sogar mehr als das.» Gegen Villarreal war vieles gut, aber letztlich nicht gut genug für Zählbares.