Das Coronavirus stürzt auch die Eishockey-Welt ins Chaos. Die WM in der Schweiz steht vor der Absage. René Fasel, Präsident des internationalen Verbandes IIHF, ist als Krisenmanager gefordert.
Es war eigentlich alles angerichtet für die grosse Eishockey-Party: Im Zürcher Hallenstadion, wo die Schweiz am 8. Mai zum WM-Start das russische Team empfangen hätte, glänzte das Logo der Titelkämpfe auf dem frisch geputzten Eis. Im Vorverkauf gingen bis jetzt über 300'000 Tickets weg. Für René Fasel wäre es die 26. Weltmeisterschaft als IIHF-Präsident gewesen, die dritte in der Schweiz und die letzte – vor seinem angekündigten Rücktritt im kommenden September: «Dieses Turnier ist ganz speziell für mich», sagt er.
Doch nun bringt die Corona-Krise alles durcheinander. Im Hallenstadion veranlasste Stadiondirektor Philipp Musshafen schon am Donnerstag das Abtauen des Eises. Dass die Maschinen in diesem Frühling nochmals angeworfen werden, ist nur noch ein kühner Traum. Ein Gespräch zwischen Eisschmelze und Hoffnungsschimmer.
Herr Fasel, wie geht es Ihnen?
René Fasel: «Danke, mir geht es gut – den Umständen entsprechend. Es sind hektische Tage, mit schwer voraussehbaren Entwicklungen und täglich neuen Hiobsbotschaften. Soeben mussten wir sechs für den April geplante Turniere absagen: die U18-WM in den USA, das Turnier der ersten Division der U18-Junioren in der Slowakei und auf höchster Stufe die Turniere der zweiten Division in Kroatien und Island sowie der dritten Division in Luxemburg und Südafrika. Insgesamt haben wir in diesem Jahr schon 16 Turniere gestrichen. Nun bleiben noch die A-WM in Zürich und Lausanne sowie die Division-1-Turniere in Slowenien und Polen im Kalender – vorderhand.»
In der Schweiz wurde die Saison abgebrochen – im restlichen Europa ebenfalls. In der NHL ist sie für vorerst zwei Wochen ausgesetzt. Wann sagen Sie die WM ab?
«Der Entscheid liegt nicht bei uns, sondern bei Bund und Kantonen. Noch arbeiten wir so weiter, dass ab dem 8. Mai in Zürich und Lausanne gespielt werden könnte. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir hören auf die Fachleute, aber da gibt es unterschiedliche Meinungen. Einige sagen, dass der Gipfel der Pandemie in Europa Ende April überstanden ist, andere sprechen von Mai. Auch die These, dass der Höhepunkt erst im nächsten Herbst kommt, habe ich schon gehört. Als Zahnarzt und Mediziner beurteile ich die Lage vielleicht etwas sensibler. Aber auch ich kenne die Antwort nicht. Ich gehe davon aus, dass wir bezüglich der WM spätestens in zwei Wochen Klarheit haben.»
Aber realistisch ist die Durchführung nicht mehr. Angesichts der zunehmenden Reiserestriktionen ist es beispielsweise undenkbar, dass die italienische Mannschaft die WM spielen könnte...
«...da haben Sie Recht. In Italien, aber auch in Dänemark und Norwegen sind die Eishallen geschlossen. In Deutschland, Österreich und in der Schweiz ist die Meisterschaft zu Ende. Unter diesen Umständen wäre es für die Nationalmannschaften sehr schwierig, sich auf das Turnier vorzubereiten. Lassen Sie es mich bildlich erklären: Wir bewegen uns mit unserem Schiff auf stürmischer See. Nun geht es darum, die Lage zu beruhigen und realistisch einzuschätzen. Dabei müssen wir an alle denken – an die Fans, die schon Tickets gekauft und Hotels gebucht haben, an die Spieler, die Verbände und die Mannschaften. Die Zeichen verdichten sich, dass das Turnier nicht stattfindet. Aber jetzt wäre es für eine definitive Absage noch zu früh.»
Es wurden bereits über 300‘000 Tickets verkauft. Erhalten die Fans das Geld zurück?
«Zu hundert Prozent. Wird die WM abgesagt, geht es auf allen Stufen um Schadensbegrenzung. Unser Ziel ist es, dass wir die Auswirkungen so gut wie möglich abfedern, bei den Fans, den Sponsoren und in den Austragungsorten.»
Sind Sie für diesen Schadensfall versichert?
«Ja, wir sind gegen Krieg, Terror und Naturkatastrophen versichert. 2012 liessen wir eine Risikoanalyse erstellen und schlossen einen Versicherungsvertrag für die Periode von 2013 bis 2023 ab. Die Prämie beträgt 260‘000 Franken pro Jahr. Ausserdem haben wir in den vergangenen Jahren Reserven von rund 25 Millionen Franken geschaffen. Das entspricht ungefähr dem Gewinn aus einer WM. So kann ich sagen: Wir sind wirtschaftlich auf der sicheren Seite.»
Aber auch dem Schweizer Verband sowie den Austragungsorten entgeht ein gutes Geschäft.
«Das stimmt leider. Der lokale Veranstalter hat in der Regel einen garantierten Gewinn von 1,5 Millionen Franken. Noch schwerer trifft es wohl die Privatwirtschaft und das Gastgewerbe in Zürich und Lausanne. Insgesamt beträgt die Wertschöpfung aus einem WM-Turnier rund 100 Millionen Franken.»
Haben Sie eine solche Situation in ihren 26 Jahren als IIHF-Präsident schon erlebt?
«Nein. Am ehesten vergleichen lässt sich die Lage mit der Verbreitung des SARS-Virus 2002. Damals mussten wir die Frauen-WM in China absagen. Anders als jetzt bekam man das Problem aber relativ schnell in den Griff.»
Hat man die aktuelle Gefahrenlage unterschätzt?
«Bei der IIHF ganz sicher nicht. Wir hatten in Asien und Südafrika Spieler mit positiven Befunden und begannen ab Anfang März Turniere abzusagen. Dafür ernteten wir anfänglich auch kritische Kommentare. Man darf nie vergessen, dass die organisierenden Verbände lange auf die Turniere hingearbeitet haben und die Enttäuschung nach Absagen immer gross ist. Aber rückblickend kann man sagen, dass wir alles richtig gemacht haben. Unsere medizinische Kommission beurteilte die Lage von Beginn an sehr präzis und richtig.»
Findet das WM-Turnier 2021 in der Schweiz statt?
«Diese Möglichkeit werden wir diskutieren. Aber faktisch sind die Weltmeisterschaften bis 2025 vergeben: 2021 nach Minsk und Riga, 2022 nach Tampere und Helsinki, 2023 nach St. Petersburg, 2024 nach Prag und Ostrava und 2025 nach Schweden und Dänemark. Bei der A-WM spielen zu viele kommerzielle und strategische Interessen mit, als dass eine Verschiebung einfach wäre. In den unteren Divisionen wäre dies eher möglich. Stand heute findet die WM 2021 in Weissrussland und Lettland statt.»
2020 wäre ein grosses Jahr für den Sport gewesen, mit der Fussball-EM und den Olympischen Spielen als weitere Höhepunkte. Werden auch diese Anlässe abgesagt?
«Ich habe in den vergangenen Wochen gelernt, dass die Lage sehr schnell ändert. Zu weit in die Zukunft zu schauen, macht wenig Sinn. Wir müssen die Situation jeden Tag von neuem beurteilen. Niemand weiss, was im Juni sein wird. Niemand kennt dieses Virus wirklich.»
Sie haben Ihren Rücktritt auf den nächsten Kongress hin angekündigt. Aber mit einer abgesagten WM können Sie doch nicht abtreten...
(lacht) «Doch, doch. Im September soll mein Nachfolger gewählt werden. Und ich bin stolz darauf, ihm einen kerngesunden Verband übergeben zu können. Aber ich gehe nicht von Bord, solange der Sturm nicht überstanden ist. Ein Kapitän darf sein Schiff in dieser Situation nicht verlassen.»