Nach dem EM-Aus in der Gruppenphase ziehen die «blue Sport»-Experten Daniel Gygax und Dennis Hediger im Fussball-Talk Heimspiel Bilanz und nehmen die Schweizer Nachwuchsausbildung generell unter die Lupe.
Nach einer überragenden Qualifikation verpasst die Schweizer U21-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft den Einzug in den Viertelfinal knapp. Dennoch bereiten die jüngsten Auftritte der Mannschaft von Trainer Mauro Lustrinelli Freude. Im Fussball-Talk Heimspiel von «blue Sport» ordnen Daniel Gygax und Dennis Hediger die Leistungen ein und nennen die zentralen Aspekte einer erfolgreichen Nachwuchsförderung.
Der bleibende Eindruck der U21-Nati
Gygax: «Spätestens der Sieg gegen England hat gezeigt, was möglich wäre mit dieser Mannschaft. Der Ausgang der Gruppenphase ist, wenn man die Matches vorher gesehen hat, schon eine kleine Enttäuschung.»
Hediger: «Am Schluss wirst du ein wenig Opfer vom Erfolg, den du hattest. Die Erwartungen steigen, dann gewinnt man den ersten Match. Dann hat man das Gefühl, das geht so weiter. Und dann kommt man ein wenig auf die Welt. (...) Es war eine sehr, sehr überzeugende Qualifikation, und es war auch ein korrekter Auftritt an der EM – aber es fehlt etwas – zu den einen etwas mehr, zu den anderen etwas weniger.»
Lob für Trainer Lustrinelli
Gygax: «Man hat gesehen, dass sie gut organisiert waren. (...) Mauro ist ein gelernter Stürmer. Normalerweise sagt man dann, dass die defensive Phase etwas vergessen geht. Aber ich muss wirklich sagen, dass seine Handschrift zu sehen war, dass auch in der Defensive gut gearbeitet worden ist.»
Hediger: «Es zeigt eine riesige Qualität von ihm, dass er alle zusammengebracht hat. Dass die Jungs füreinander durchs Feuer gingen. Das hat man in diesen Spielen schon gesehen. (…) Jeder Spieler verfolgt eigene Interessen, bekommt aber auch eigene Spielphilosophien mit in jedem Verein – da braucht es super Arbeit, dass man am Schluss elf Spieler auf den Platz bringt, die die eigene Philosophie umsetzen. (…) Das ist mit eine Qualität, dass du am Schluss jeden ins Boot holen kannst für diese Kampagne.»
Die vielversprechende Zukunft der U21-Stars
Gygax: «Jeder U21-Natispieler steht bereits im Fokus der A-Nationalmannschaft. So ein Turnier wäre die perfekte Möglichkeit gewesen, um sich für die A-Nati zu präsentieren. Ich denke, da ist jeder auf dem Zettel. (…) Es ist halt immer positionsabhängig, je nachdem was der Nati-Trainer noch sucht.»
Hediger: «Entscheidend ist doch jetzt, dass die Entwicklung von all diesen Jungs weitergeht. Zum Beispiel Lotomba ist in seiner Entwicklung schon sehr weit, der hat in einer sehr attraktiven Liga schon seinen Stammplatz. (…) Wenn andere Spieler den nächsten Entwicklungsschritt auch machen, ist die Chance viel grösser, dass sie auch in die A-Nati kommen. Aber die Entwicklung ist noch lange nicht fertig.»
Die unterschiedlichen Werdegänge
Hediger: «Man muss wissen: Was bekomme ich bei einem Verein? Hilft mir das für meine Entwicklung oder hilft mir das nicht? Muss ich vielleicht genau an den Ort, wo es vielleicht etwas mühsam ist, wo ich aber weiss, dass ich die nächsten Skills für meine Karriere mitbekomme. Das ist am Schluss die Karriereplanung, die entscheidend ist. Und darum kann man nicht sagen: Ausland besser als Schweiz.»
Patrick Bruggmann, Direktor Fussballentwicklung Schweizer Fussballverband (per Skype zugeschaltet): «Es gibt auch den Weg über die Challenge League. Dort Erfahrung zu sammeln auf möglichst hohem Niveau mit einer hohen Intensität. Sich mit besseren Spieler messen können, das ist das, was es braucht, damit sich ein Spieler weiterentwickeln kann. Deshalb ist ganz entscheidend, dass man das individuell anschaut – und die Spieler dann auch Spielzeit bekommen in der Challenge League oder der Super League.»
Die Bedeutung der individuellen Behandlung
Hediger: «Man kann nicht mit allen 20 Spielern gleich arbeiten. Es hat jeder einen anderen Background, ein anderes Umfeld und andere Qualitäten – und genau diese Spieler, jeder einzeln, weiterzuentwickeln ist das, was Spass macht. Das kannst du als Trainer machen, das kannst du aber auch als Verband machen, indem Top-Talente noch etwas individueller betreut werden. Aber die ganze Individualisierung ist das Entscheidende. Jeder hat am Schluss seinen Weg. Und du willst ihn auf seinem Weg ja begleiten, und diesen nicht vorgeben. Weil das geht am Schluss auf Kosten der Kreativität. Dieses Spiel zu können, ist sehr herausfordernd.»
«Es kann für einen Spieler vielleicht wertvoller sein, die Challenge League zu dominieren und persönlich zu einem Führungsspieler zu werden, als dass er irgendwo in einer grosse Liga ist, aber sich dort eben nicht richtig entwickeln kann.»
Die wichtige Phase für 15- oder 16-Jährige
Gygax: «Ich glaube, dass ist die wichtigste Stufe überhaupt. Es kommt alles zusammen. Von dem her finde ich es wichtig, dass man sie sich entfalten lässt. Und wenn es Probleme gibt, dass man sicher offene Ohren hat, dass man mit ihnen über alles reden kann. Ich ticke zumindest so. Denn sie haben so viel, sind den ganzen Tag unterwegs. Das ist nicht zu unterschätzen.»