Trainer Gerardo Seoane nimmt die Rückrunde mit YB mit einem satten Vorsprung in Angriff. Ein Ausruhen kommt nicht in Frage, wie der 40-jährige Luzerner im Interview klarmacht.
Gerardo Seoane, vor der Rückrunde liegen Sie mit YB 19 und mehr Punkten vor der Konkurrenz. Werden Sie es im Frühling etwas gemütlicher nehmen?
Gerardo Seoane: Wir müssen uns zuerst wieder alles erarbeiten. Es ist eine neue Situation. Wir wollen uns individuell und als Mannschaft weiterentwickeln. Wir bereiten uns auch auf mögliche Rückschläge vor. Die Konkurrenz schläft nicht, es kann viel passieren. Wir setzen uns kurze Ziele.
Im Herbst hatten Sie relativ wenige Ausfälle. Jetzt ist Sékou Sanogo weggezogen. Kevin Mbabu und Miralem Sulejmani sind verletzt und spielen einstweilen nicht. Wie gehen Sie damit um?
Diese Spieler kann man nicht eins zu eins ersetzen. Wir haben keinen zweiten Mbabu, keinen zweiten Sanogo. Aber wir haben andere Typen. Es ist jetzt die Aufgabe, auch meine Aufgabe, Lösungen zu finden, zum Beispiel mit den Qualitäten von Nicolas Moumi Ngamaleu oder Thorsten Schick. Wir haben auch junge Spieler, die eine gute Entwicklung gemacht haben und denen wir Spielzeit geben wollen. Das gehört zur Strategie von YB.
Sie kamen nach der letzten Saison zu YB. Die Vorbereitung im Sommer war kurz. Was dachten Sie, was möglich sein würde, als die Saison losging?
Ich ging ohne Vorurteile in die Vorbereitung. Mich hat beeindruckt, wie die Mannschaft sofort bereit war, hart zu arbeiten auch nach dem Erfolg, den sie mit dem Meistertitel gehabt hatte. Ich merkte, dass die Spieler noch hungrig waren. Die Mannschaft zeigte schon dort ihren unglaublichen Charakter. Eine Prognose für den Herbst war für mich schwierig, weil ich auch nicht wusste, wie stark die Gegner waren. Aber ich spürte, dass die Mannschaft hungrig ist und dass unglaublich viel Qualität vorhanden ist.
Welche Voraussetzungen haben Sie im Verein für Ihre Arbeit angetroffen?
Ich sah vom ersten Tag an, dass der Verein eine erstklassige Struktur hat. Jeder weiss in seinem Bereich, was er machen muss. Staff, Physios, Kommunikation, Scouting, Sportführung – ich muss mich um nichts anderes kümmern als um meine Kernaufgaben.
16 Siege und ein Unentschieden in 18 Spielen. Die Ausbeute in der Meisterschaft im Herbst war fast maximal.
Die Mannschaft ist hochtourig gefahren. Wir hatten sehr grosses Selbstvertrauen. Und ich muss auch sagen, dass das Wettkampfglück oft auf unserer Seite war. Die Mentalität der Mannschaft war extrem positiv. Es ist auch ein Konkurrenzkampf da. Die Breite des Kaders ist dafür sehr wichtig. Wir waren vielleicht nicht immer variabel im System, dafür aber variabel mit den Spielern, zum Beispiel mit ganz unterschiedlichen Typen unter den Stürmern.
Welches sind die wichtigsten Stärken der Mannschaft, die zu dieser Überlegenheit im Herbst geführt haben?
Es sind viele positive Punkte, die zusammenspielen. Was uns meiner Meinung nach besonders stark macht, sind die Zuschauer. Sie spüren die Mannschaft. Sie pushen die Spieler, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Das war auch in den Auswärtsspielen so, nicht nur in der Meisterschaft und in der Champions League. Ich erinnere mich besonders an das Cupspiel in Biel. Wir waren dort gegen einen Erstligisten in Rückstand, und die Fans haben uns nonstop angetrieben. Wenn es in einem Match hart auf hart geht, geben uns die Fans einen Energieschub.
Wie beurteilen Sie im Nachhinein das Abschneiden in der Champions League?
In der Champions League zu spielen ist schon nicht selbstverständlich. Innerhalb der Kampagne wurden wir besser. Ich sah eine klare Steigerung. Mit der Punkteausbeute waren wir nicht zufrieden.
Als YB an dem unvergesslichen 28. April im Stade de Suisse Meister wurde, waren Sie noch der Trainer des Gegners Luzern. Wie haben Sie den für den Sport in Bern einmaligen Abend in Erinnerung?
Es war eine elektrisierende Stimmung, eine riesige Spannung im Stadion. Wir waren in Luzern sehr dankbar, dass wir diesen Match bestreiten durften. Dass du in der Schweiz gegen eine so starke Mannschaft antreten kannst, auswärts, dass du dich mit Händen und Füssen wehren musst, damit du bestehen kannst. Ich sagte meinen Spielern, dass wir dafür ewig dankbar sein mussten. So etwas kannst du nicht oft erleben. Der Match hat damals unsere jungen Spieler weitergebracht, und auch mich selbst. Es war ein Riesenerlebnis.
Sie hatten mit Luzern letzten Frühling sehr viel Erfolg. Als Sie bei YB unterschrieben hatten, waren Sie für viele Fans ein Verräter, der nur dem Geld und dem Erfolg nachrennt.
Von Vereinsseite spürte ich absolutes Verständnis. Von den Fans bekam ich zum Teil positive Reaktionen. Aber es gab auch Unverständnis von eingefleischten Fans. Es tat ihnen weh, Fussball ist eine Leidenschaft. Nur durfte das Unverständnis eine Grenze nicht überschreiten. Gesamthaft gingen wir so auseinander, wie es sich nach acht Jahren als Trainer und etwa zehn Jahren als Spieler beim FC Luzern gehört.
Am 9. Januar 2018 wurden Sie beim FC Luzern zum Cheftrainer befördert. Das ist noch nicht lange her. Sie hatten danach viel mehr Erfolg als ihr Vorgänger Markus Babbel. Wie war das möglich?
Markus Babbel machte einen guten Job. Es ist normal, dass ein neuer Trainer für neue Impulse sorgt. Wichtig war, dass wir klare Ideen hatten, wie wir mit dieser Mannschaft arbeiten und spielen wollten.
Hätten Sie gedacht, dass Sie in nur einem Jahr diesen Aufstieg erleben könnten?
Nein. Was ich von meiner Mannschaft verlange, so gehe ich auch mit mir selber um. Man hat eine Vision, aber man muss Schritt für Schritt gehen. Beim Amtsantritt beschäftigte ich mich damit, was sofort passieren muss. Die Vorbereitung planen, die Spieler auf Vordermann bringen. Dann kannst du dir auch nicht überlegen, was in drei Monaten, was in sechs Monaten sein kann. Den Fussball kann man fast nicht planen. Man kann nur seinen Beitrag leisten mit der Arbeit, mit der Professionalität. Wenn mir also jemand vor einem Jahr alles vorhergesagt hätte, hätte ich gedacht: Nein, das ist nicht möglich.