Torhüter im Fussball gelten auch als Einzelsportler in einem Mannschaftssport. Im Teleclub Fussball-Talk Heimspiel wird diskutiert, wie sich die Sonderrolle der Schlussmänner entwickelt hat.
Der ehemalige Nati-Goalie Stephan Lehmann erklärt im Fussball-Talk Heimspiel, wieso der Torwart in einer Fussball-Mannschaft ein Sonderfall ist. «Das beginnt schon bei der anderen Trikot-Farbe. Oder die ganz andere Trainingsmethodik im Vergleich mit dem Rest der Mannschaft», sagt Lehmann. Zudem unterscheide sich die Rolle der Torhüter von derjenigen der Feldspieler. «Hinter dem Goalie ist nichts mehr – nur das Netz. Wenn wir einen Fehler machen, gibt es Tor. Das ist eine alte Weisheit. Der Stürmer kann dreimal über das Tor schiessen und es hat nie dieselben Konsequenzen.» Das sei ein anderer Druck, der auf dem Torwart laste und mache die Rolle mental sehr speziell. «Deshalb trainieren wir anders, deshalb dürfen wir den Ball in die Hand nehmen und deshalb sind wir ein bisschen Einzelsportler in einem Teamsport.»
Der Torjubel mit dem Pfosten
Genfs Torhüter Jérémy Frick, der am Wochenende gegen Basel ohne Gegentreffer blieb, stimmt Lehmann zu. «Wenn wir einen Fehler machen, gibt es Tor und wir sind ganz allein. Und auch wenn wir ein Tor schiessen, sind wir allein und müssen allein feiern.» Sprintet er nicht ausnahmsweise zu seinen Teamkollegen – wie am Samstag nach dem zweiten Treffer gegen Basel – feiert Frick auf seine Art. «Dann küsse ich manchmal den Pfosten», scherzt der 26-Jährige.
Dennoch müsse ein Schlussmann natürlich in der Mannschaft integriert und akzeptiert sein, betont Lehmann: «Nichtsdestotrotz ist sehr wichtig, dass er eine gute Bindung zum Team hat.» Während seiner Aktivzeit habe er eine Strategie verfolgt: «Ich habe immer geschaut, dass die vier Verteidiger meine besten Freunde sind – denn die müssen sich letztlich in die Schüsse legen. (…) Dieses Zusammenspiel ist natürlich wichtig.»
Sommer als «erster Spielmacher bei Gladbach»
Vor allem auf dem Platz wird das Zusammenspiel zwischen Verteidigung und Torwart immer wichtiger, glaubt auch Teleclub-Fussballexperte Rolf Fringer: «Yann Sommer ist der erste Spielmacher bei Gladbach. Und das gibt viel Vertrauen in die Verteidigung, ins Mittelfeld und in den Sturm.» Darum habe man mehr und mehr realisiert, dass der Goalie viel mehr Wertschätzung verdiene als in vergangenen Tagen. «Es gibt Torhüter, die werden heute für 50 oder 100 Millionen verkauft. Das heisst: Man hat gecheckt, wie wichtig ein guter Goalie heute ist – weil es viel höhere Anforderungen gibt als früher.»
Die Erwartungen an Torhüter seien vor allem vielseitiger geworden. «Wenn wir auf dem Schulhof kickten, musste derjenige, der nicht so gut spielte, ins Tor. Und der Zweitschlechteste spielte Aussenverteidiger», erinnert sich Fringer. «Beim Abstoss gab es viele, die im Tor stehen blieben, weil sie gar nicht zur Mittellinie kamen. Der Libero hat ihn getreten.» Das sei heute nicht mehr zu beobachten: «Die Zeiten, in denen man den schlechtesten Feldspieler ins Tor stellte, sind definitiv vorbei. Das Torhüter-Leben hat sich total verändert.»
Die Einführung der Rückpass-Regel
Einen Grund dafür sieht Fringer in der Einführung der Rückpass-Regel. «Heute muss ein guter Goalie ein durchschnittlich guter Feldspieler sein. Er kann den Ball – wenn er nicht mit Kopf oder Brust zurückgespielt wird – nicht mehr in die Hand nehmen. Er muss Fussball spielen können.» Stephan Lehmann musste dies am eigenen Leib erfahren: «Ich weiss noch: Diese Regel wurde 1992 geändert. Ich war damals noch aktiv, als das wechselte. Das ist dann schwierig! Vorher konntest du den Ball von Sechzehner-Ecke zu Sechzehner-Ecke rollen und wieder aufnehmen.» Davon könnte Lehmann heutzutage nur träumen.
«Die Ansprüche sind massiv gestiegen», glaubt auch Felix Bingesser, Sportchef der «Blick«-Gruppe. «Ein Yann Sommer oder ein Roman Bürki könnten locker in der ersten Liga, vielleicht sogar in der Challenge League ohne grosses Training mithalten. Das sind super Fussballer.» Ähnliches hätte er seinem Vis-à-vis zu dessen Aktivzeit nicht zugetraut: «Ich glaube, Steph Lehmann hätte man nicht in der ersten Liga im Sturm bringen können.»