Die Coronavirus-Krise stellt die Fussballklubs auf die Probe. Christoph Spycher, Sportchef von Schweizer Meister Young Boys, bleibt in den schwierigen Zeiten reflektiert und besonnen.
Christoph Spycher, wie haben Sie die letzten zwei Monate im Klub erlebt?
Es ist eine Situation, die wir zuerst nicht recht einordnen konnten. Wir alle haben noch nie erlebt, dass so einschneidende Massnahmen getroffen werden müssen. Und dies für mehrere Generationen. Mit der Zeit konnten die Spieler die Situation erkennen und sich richtig und vorsichtig verhalten. Sie pflegen einen sensitiven Umgang. Nach und nach kam natürlich eine gewisse Ungeduld auf. Man fragt sich, wann wieder eine Normalität eintritt und wann wir wieder das tun können, was wir am liebsten tun.
Gehen die einen Spieler eher gelassen mit der Situation um? Haben andere Spieler mehr Probleme, es zu verarbeiten?
Ja, es ist tatsächlich unterschiedlich, weil auch die Lebenssituationen im privaten Umfeld der Einzelnen unterschiedlich sind. Sind sie allein? Haben sie Familien? Haben sie Kinder, sind die Familien hier oder im Ausland? Das sind Umstände, die hineinspielen und die die Situation für die Spieler per se anders machen. Die Spieler sind auch vom Charakter und vom Alter her unterschiedlich. Für alle gilt aber, dass sie sehr gern in den Fussballbetrieb zurückkommen möchten.
Gibt es vom Klub aus, vielleicht von Ihnen oder von Trainer Gerardo Seoane, einen Leitfaden, wie sich die Spieler in dieser Zeit verhalten sollten?
Wir haben die Spieler immer wieder sensibilisiert und ihnen gewisse Verhaltensregeln auf den Weg gegeben, die wir in den letzten Wochen nicht anpassen mussten. Die Spieler sollen daheim bei ihren Angehörigen sein oder allein in der Natur. Es entspricht den Richtlinien des BAG.
Die Spieler können sich fit halten mit Hometrainern, Hanteln und Ähnlichem. Aber wie können sie das eigentliche Fussballspiel simulieren, zu dem ja das Zusammenspiel und Zweikämpfe gehören?
Das ist nicht möglich. Was jetzt stattfindet, ist ein verzweifelter Kampf, einigermassen etwas von dem zu bewahren, was es bräuchte. Das Fussballspiel ist sehr intensiv und schnellkräftig geworden. Das sind Dinge, die man im Moment nicht trainieren kann. Wir probieren einfach, das Maximum zu machen von dem, was möglich ist. Sobald einmal entschieden wird, dass wieder gespielt werden kann, wird es zuerst noch eine Anlaufzeit brauchen, um den Betrieb wieder hochzufahren.
Vor der Corona-Krise war YB in jeder Beziehung ein gefestigter Verein mit klaren Strukturen, Kompetenzen und Abläufen. Wird YB nach der Krise sofort im gleichen Zustand weiterfahren können?
Ich bin sicher, dass wir ein gefestigter Verein bleiben werden. Wir haben unsere Strukturen gefunden, und wir werden versuchen, unseren Weg weiterzugehen. Andererseits kann man noch nicht sagen, welche Auswirkungen alles haben wird. Es ist für alle Unternehmungen, nicht nur im Fussball, eine schwierige Situation. Aber wenn man gefestigte und gute Strukturen hat, ist es sicher nicht von Nachteil.
Wie ist Ihre Haltung gegenüber Geisterspielen?
Nach den jüngsten Entwicklungen ist es klar, dass man nicht mehr darüber diskutieren muss, ob wir die Saison mit Zuschauern fertig spielen können. Es geht nur noch darum, ob wir die Saison überhaupt noch zu Ende bringen können. Es werden auf höchster Ebene, auch in der UEFA und in der FIFA, grösste Anstrengungen unternommen. Wir sind klar der Meinung, dass wir die Saison fertig spielen sollten. Es ist aber ebenso klar, dass momentan nur Geisterspiele infrage kommen. Dies ist sicher nicht das Höchste der Gefühle. Wir würden gern wieder mit allen YB-Fans schöne Momente im Stadion erleben.
Die UEFA hat skizziert, dass die Meisterschaften in Europa über den Juni hinaus bis etwa Mitte August zu Ende gespielt werden könnten. Wie stellen Sie sich dazu?
Dass die Saison länger gehen wird, als es gedacht war, ist klar. Sicher werden bald entsprechende Entscheide gefällt werden. Dann wird es auch darauf ankommen, wie der europäische Wettspielkalender angepasst werden kann. Es hängen viele Sachen zusammen. Wir können nicht sagen, wie wir es gerne haben würden, wir sind Teil eines grösseren Systems. Es kann nicht jedes Land für sich denken.
Wie wird Ihrer Meinung nach die nächste Saison aussehen, die ja dann wesentlich später beginnen würde?
Für die neue Saison wird es Kompromissformate geben müssen. Es wird zum Beispiel kaum möglich sein, alle Europacup-Qualifikationsrunden mit Hin- und Rückspielen auszutragen. Es wird wohl drunter und drüber gehen, aber es ist halt eine Ausnahmesituation. Am Ende der nächsten Saison wird es terminlich ebenfalls knapp werden, weil danach ja die EM stattfinden soll. Alle werden für Kompromisse bereit sein müssen.
Wird es im Sommer ein Transferfenster geben, wenn die Saison mit den alten Kadern bis Mitte August erstreckt wird?
Es wird bestimmt in irgendeiner Form ein Transferfenster geben. Es gibt beispielsweise auch Klubs, die Geld brauchen und Spieler verkaufen wollen.
Wie nahe geht Ihnen das Ganze persönlich?
Es ist eine grosse Umstellung, und es gibt schwierige Momente. Aber ich bin immer noch privilegiert. Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich will nicht jammern. Ich weiss, dass es viele Menschen gibt, die es auf ganz andere Weise trifft.
Was unternimmt YB in Sachen Kurzarbeit, Lohnkürzungen und Ähnlichem? Bisher wurde noch nichts kommuniziert.
Wir sind die ganze Sache unaufgeregt angegangen. Wir sind mit unseren Spielern im Austausch, aber wir sind nicht am Verhandeln. Wir werden Lösungen anstreben, die für alle fair sind. Wir hatten mit unseren Spielern einen grundsätzlichen Austausch und der war sehr positiv.