Zehn Tage vor Turnierauftakt noch im Urlaub, wird Dänemarks Auswahl 1992 in Schweden sensationell Europameister. Der Rückblick auf ein Fussball-Wunder.
Am 30. Mai 1992 verkündet UEFA-Präsident Lennart Johansson, was zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu umgehen ist: Jugoslawiens Starensemble wird wegen des Bürgerkriegs auf dem Balkan vom Turnier ausgeschlossen. «Wir können nicht länger so tun, als wäre nichts geschehen. Immerhin repräsentiert diese Mannschaft Restjugoslawien und wir müssen der politischen Wahrheit ins Auge sehen», begründet Johansson.
Des einen Leid, des anderen Freud. Durch die sportpolitische Entscheidung rückt Dänemarks Nationalteam, das in der Qualifikation als Gruppenzweiter hinter Jugoslawien gescheitert war, unverhofft doch noch an die EM-Endrunde in Schweden nach. Es ist der unrühmliche Start in ein echtes Fussball-Märchen. Aber der Reihe nach.
«Wir haben keine Chance»
Weil der Verband nach der verpassten Qualifikation nicht mit einer EM-Teilnahme rechnet, endet die dänische Liga in diesem Jahr bloss drei Tage vor dem Turnierstart. Die zwölf Spieler aus der heimischen Liga sind dadurch zwar im Wettkampfmodus, aber auch müde. Für die acht im Ausland aktiven Söldner, die von Trainer Richard Möller-Nielsen teilweise schon aus den Ferien geholt werden müssen, ist die Vorbereitung viel zu kurz. Dementsprechend sind die eigenen Erwartungen vor dem Auftaktspiel gegen England überschaubar.
So plant Bayern-Star Brian Laudrup den Abflug für seine USA-Reise bereits vier Tage vor dem Turnierende. Und Dortmunds Fleming Povlsen sagt beispielsweise: «Ich glaube nicht, dass wir die geforderten Leistungen gegen Klassemannschaften wie England, Frankreich und Schweden bringen können. Wir haben keine Chance». Er sollte sich schwer täuschen.
Ohne jeglichen Druck spielen die Dänen gross auf, können mit den Topnationen erstaunlich gut mithalten und knüpfen England ein verdientes Remis ab. Nach einer Niederlage gegen Gastgeber Schweden überrascht «Danish Dynamite» im letzten Gruppenspiel die Startruppe aus Frankreich um Teamchef Michel Platini – und stösst sensationell in die Halbfinal vor.
Niederlande und Deutschland eliminiert
Dort wartet mit Titelverteidiger Niederlande der nächste harte Brocken. Doch die unbeschwerten Dänen zwingen den haushohen Favoriten ins Penaltyschiessen, wo Goalie Peter Schmeichel den Elfer von Oranje-Superstar Marco van Basten pariert und zum Helden avanciert.
Auch im Final von Göteborg vor 37'000 Zuschauer lässt die dänische Goalie-Legende die Gegner aus Deutschland verzweifeln. Vor allem die Parade nach Jürgen Klinsmanns Flachschuss kurz vor der Halbzeit bleibt in Erinnerung. «Als die Mannschaft sie sah, wussten sie, dass ich in Topform war und ihnen helfen würde», sagt Schmeichel einst im Interview mit der «UEFA».
Nach 78 Minuten macht Kim Vilfort die Sensation mit dem 2:0 perfekt. Dass er sich den Ball vor dem vorentscheidenden Treffer mit der Hand zurechtlegt, interessiert im Anschluss niemanden mehr – zumindest in Dänemark. Mit dem Schlusspfiff brechen alle Dämme, auf dem Platz aber auch im Heimatland steigt eine unvergessene Party. «Ich glaube, dass es mir vor allem bewusst wurde, als wir in Kopenhagen im Rathaus standen und mit ganz Dänemark gefeiert haben», erinnert sich Schmeichel und fügt an: «Da denkt man: ‹Wir haben das wirklich geschafft, das ist kein Traum.›»