Statistik-Analyse Was die Schweiz gegen Portugal tun sollte und was nicht

Von Sandro Zappella

6.12.2022

Welche Taktik wählt Murat Yakin gegen Portugal?
Welche Taktik wählt Murat Yakin gegen Portugal?
KEYSTONE

Die Schweiz steigt als Aussenseiter ins Achtelfinale gegen Portugal. Aber der Europameister von 2016 ist durchaus verwundbar. Wir haben uns durch die Statistiken gekämpft und analysiert, wo die Chancen der Schweiz liegen.

Von Sandro Zappella

Mit Portugal wartet im Achtelfinale ein altbekannter Gegner auf die Schweizer Nationalmannschaft. In diesem Jahr gab es gegen die Portugiesen in der Nations League eine 0:4-Niederlage und einen 1:0-Sieg. 

Das Team um den 37-jährigen Superstar Cristiano Ronaldo besteht eigentlich ausschliesslich aus individuellen Weltklasse-Fussballern. Unschlagbar ist Portugal aber keineswegs. Wir haben die Chancen und Gefahren gegen Portugal genauer analysiert.

Schafft es die Schweiz an einer WM erstmals seit 1954 ins Viertelfinale?

🤔 Chancen 

Wenig Torgefahr ohne Penaltys

Portugal hat als einziges Team der WM zwei Penalty-Tore erzielt. Beide Elfmeter waren äusserst umstritten. Zieht man die beiden schmeichelhaften Strafstösse ab, sieht es bei Portugal nicht mehr so rosig aus. Bei den «Non Penalty Expected Goals» – «zu erwartende Tore ohne Penaltys» – kommt das Team von Fernanrdo Santos nämlich bloss auf einen Wert von 3,0 und liegt damit im hintersten Drittel aller Teilnehmer. Zum Vergleich, die Schweiz hat sich an dieser WM die Chance für statistisch 4,4 Tore heraus gespielt.

Aber natürlich zählen am Ende die erzielten Tore und dazu halt auch die Penalty-Treffer. Die Portugiesen haben einerseits quirlige und flinke Spieler, die ohne Fouls nur schwer zu stoppen sind und zudem auch die Cleverness eines Ronaldos, beim kleinsten Kontakt hinzufallen.

Ronaldo fällt, doch dieser Penaltyentscheid ist höchst fragwürdig

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Portugal geht gegen Ghana nach einem höchst umstrittenen Elfmeter-Entscheid in Führung. Reicht diese Berührung für einen Pfiff aus?

24.11.2022

Für die Schweiz gilt also: Aufpassen im eigenen Strafraum und den Portugiesen keine Chance geben, im Sechzehner hinzufallen. Tendenziell hat sich Portugal bisher nämlich schwergetan, aus dem Spiel heraus zu Torchancen zu kommen.

Cristiano Ronaldo

In drei Spielen kommt Cristiano Ronaldo an dieser WM gerade mal auf einen einzigen Treffer – diesen hat er per Penalty erzielt. Auch die weiteren Statistiken sprechen nicht für ihn: Acht Schüsse hat er abgegeben, nur einer davon (der Penalty) ging aufs Tor. Dazu kommen fünf Ballverluste (Höchstwert bei Portugal) und vier versuchte Dribblings, wovon keines erfolgreich war.

Der Superstar ist bei Portugal aber unabhängig von seinen Leistungen gesetzt. Sollte er auf die Bank verbannt werden, würde ein Politikum drohen, wie es schon bei Manchester United geschehen ist. Einen «CR7» setzt man schliesslich nicht auf die Bank. Cristiano Ronaldo kann die Schweiz im Alleingang abschiessen, darüber braucht man nicht zu debattieren. Er kann Portugals Offensive aber auch schwächen, weil einfach zu viele Angriffe über ihn laufen (müssen). 

Bestes Beispiel für das übersteigerte Ego von «CR7» war eine Aktion im zweiten Gruppenspiel gegen Uruguay. Ronaldo behauptete verzweifelt, eine Flanke von Bruno Fernandes noch mit den Haarspitzen berührt zu haben, damit ihm das Tor zugeschrieben wird. Schliesslich fehlt Ronaldo noch ein Treffer, um den WM-Torrekord von Portugal-Legende Eusebio zu egalisieren. Die persönliche Agenda, diesen Rekord zu holen, dürfte bei Ronaldo nicht minder wichtig sein, als mit seinem Team Erfolg zu haben.

Fernandes-Flanke findet den Weg ins Tor

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Die Führung für Portugal in der 55. Minute. Bruno Fernandes schlägt von links eine butterweiche Flanke an den Fünfmeterraum, Ronaldo läuft ein und springt drunter durch. Die Kugel schlägt im langen Eck ein.

28.11.2022

Die Defensive

Vier Tore hat Portugal in den drei Gruppenspielen erhalten. Und das kommt nicht zufällig oder durch hohe Effizienz der Gegner. Portugal hat bei den «Expected Goals Against» einen Wert von 3,9 – das ist nicht sonderlich stark. Die Schweiz zum Beispiel steht hier bei 3,1 statistisch erwartbaren Gegentoren nach der Gruppenphase. Top ist in dieser Sparte Brasilien mit 0,9 erwartbaren Gegentoren in drei Spielen. 

Dass die Schwachstelle der Portugiesen in der Defensive liegt, sieht auch U19-Nati-Coach Massimo Rizzo so. Er war für den SFV in Katar, um die Portugiesen zu beobachten und erklärt: «Sie haben Probleme beim Umschalten von Angriff auf Verteidigung.»

Portugal-Beobachter Rizzo: «Das ist die Schwäche der Portugiesen»

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U19-Nati-Coach Massimo Rizzo war für den SFV in Katar, um die Portugiesen zu beobachten. Mit blue Sport spricht der Ex-FCZ-Trainer über die Stärken und Schwächen des Schweizer Achtelfinal-Gegners.

02.12.2022

Dass die Schweiz unsichere Abwehrreihen überrumpeln kann, zeigte sie bereits mit den drei Treffern gegen Serbien. Gegen Portugal wird es äusserst wichtig, mutig nach vorne zu spielen und die wacklige Abwehr regelmässig zu testen.

⚠️ Gefahren

Dominanz

Portugal hat genügend technisch starke Spieler, um den Ball in den eigenen Reihen zu halten. Auf 60,7 Prozent Ballbesitz kommen die Portugiesen in der Gruppenphase. Die Schweiz hingegen hatte den Ball bloss zu 47,7 Prozent in den eigenen Reihen. Auch bezüglich der Passgenauigkeit liegt Portugal mit 84,6 Prozent deutlich vor der Schweiz mit einer Erfolgsquote von 80 Prozent.

Die Nati muss also aufpassen, nicht von den Portugiesen dominiert und erdrückt zu werden. Wie schon gegen Brasilien könnte sich dann der Gegentreffer förmlich abzeichnen, wenn zu selten Entlastung kommt und die Schweiz dem Ball nur nachrennt. 

Mittelfeldspieler Ruben Neves glänzt mit einer Passquote von 91 Prozent.
Mittelfeldspieler Ruben Neves glänzt mit einer Passquote von 91 Prozent.
Bild: Keystone

Distanzschützen

«Nöd schüsse lah» – die auf dem Bolzplatz oft gehörte, goldene Amateur-Regel muss sich auch die Nationalmannschaft zu Herzen nehmen. Denn die Portugiesen lassen sich aus der Distanz nicht zweimal bitten. Die durchschnittliche Entfernung der Torschüsse bei den Portugiesen beträgt 22,1 Meter – kein Team der WM zieht im Schnitt von weiter weg ab.

Die Schweiz ist übrigens am anderen Ende zu finden. Sie schliessen durchschnittlich aus 15,1 Metern ab. Näher ans Tor geht sonst nur England (14,6).

Kopfball-Duelle

Portugal hat 58,1 Prozent seiner Kopfball-Duelle gewonnen. Eine knapp bessere Quote (58,8 Prozent) hat nur Kanada. Die Schweiz hat eine leicht negative Bilanz und bloss 46,6 Prozent seiner Luftkämpfe für sich entschieden.

Die starke Kopfball-Bilanz der Portugiesen mag etwas erstaunen, schliesslich sind die Portugiesen kein Team der ganz grossen Spieler. Keiner der Stammspieler misst mehr als 1,87 Meter, einer davon ist Cristiano Ronaldo. Dieser Ronaldo weist mit sieben gewonnenen und nur einem verlorenen Kopfballduell einen überragenden Wert auf, noch besser ist allerdings Aussenverteidiger João Cancelo mit einer Bilanz von 9 zu 0.

Die Schweiz hat bisher aber sowieso kaum auf Flanken zurückgegriffen und falls doch, war das nicht von Erfolg gekrönt. Aus dem Spiel heraus haben die Schweizer gerade mal zwei von 37 Flanken an den Mann gebracht. Schwächer ist diesbezüglich kein anderes Team. In Kombination mit Portugals Kopfballstärke sind Flanken offensichtlich nicht das richtige Mittel.

Immerhin ist Portugal bei den Offensiv-Kopfbällen noch nicht sonderlich gefährlich in Erscheinung getreten. 9 von 53 Flanken kamen an den Mann, ein Tor per Kopf gelang den Portugiesen noch nicht. Dennoch sollte man einem Cristiano Ronaldo nicht so viel Platz lassen, wie man ihn Aleksandar Mitrovic bei seinem Kopfball-Tor gegen die Schweiz gewährt hat.

Zu viel Platz: Mitrovic trifft per Kopf gegen die Schweiz.
Zu viel Platz: Mitrovic trifft per Kopf gegen die Schweiz.
Bild: Keystone

Bruno Fernandes

Der offensive Mittelfeldspieler von Manchester United wurde nur in den ersten beiden Partien eingesetzt, kommt dabei aber auf vier Skorerpunkte (zwei Tore, zwei Assists). Mit seiner hervorragenden Bilanz schaffte es der Portugiese auch in unsere Top 11 der Gruppenphase. Da er im letzten Gruppenspiel geschont wurde, dürfte er für das Achtelfinale gegen die Schweiz frisch sein.

Erhält Fernandes zu viel Platz und kommt in Spiellaune, ist er kaum noch zu stoppen. Xhaka und Freuler werden gefordert, dem Zehner so sehr auf den Füssen herumzustehen, dass er gar nie seine Spielfreude entwickeln kann.