Grösser könnte der Unterschied kaum sein: Nicht Fussball-Legende Ryan Giggs, sondern dessen Assistent Robert Page betreut die walisische Nationalmannschaft bei der EM. Kann der 46-Jährige aus dem Schatten seines prominenten Chefs und Freundes heraustreten?
Das nächste Kapitel seiner aussergewöhnlichen Lebensgeschichte wollte Ryan Giggs eigentlich bei der Europameisterschaft schreiben. Doch statt seine Heimat Wales dort als Trainer zu betreuen und womöglich zum nächsten Fussball-Märchen zu führen, hat der frühere Superstar und Rekordspieler von Manchester United ganz andere Probleme: Giggs muss sich Anfang kommenden Jahres in einem Gerichtsprozess wegen Körperverletzung verantworten. Der 47-Jährige soll seine Ex-Freundin und deren Schwester angegriffen haben. Er bestreitet die Vorwürfe.
Die Anschuldigungen gegen Giggs, der mit den Red Devils zwischen 1992 und 2013 zwei Champions-League-Triumphe feierte und 13 Mal die Meisterschaft gewann, sorgten weit über Wales hinaus für reichlich Wirbel. Das Thema überschattete die EM-Vorbereitung einer Mannschaft, die ihrem Land erst die zweite Endrunden-Teilnahme überhaupt beschert.
«Er ist ein Freund, egal ob er Trainer ist oder nicht»
Robert Page über Ryan Giggs
«Schwierige Umstände»
Anstelle der Fussball-Legende betreut nun Giggs' Assistent Robert Page das Team um Superstar Gareth Bale und Aaron Ramsey. Für den international ziemlich unbekannten Coach und früheren Nationalspieler ist es die mit Abstand grösste Aufgabe der bisherigen Trainerkarriere.
«Natürlich sind es schwierige Umstände», sagte Page. «Davor können wir uns nicht verstecken. Aber die Situation, in die wir geraten sind, ist, wie sie ist. Also gehen wir so gut wie möglich damit um.» Bislang klappt das auf dem Platz ganz gut: Von acht Partien unter dem 46-Jährigen gewann Wales vier und unterlag nur den EM-Topfavoriten Belgien und Frankreich.
Giggs selbst hält sich seit Bekanntwerden der Vorwürfe mit Aussagen weitgehend zurück. In einem Statement kündigte er an: «Ich werde vor Gericht auf nicht schuldig plädieren und meinen Namen reinwaschen.» Zudem wünschte der in jungen Jahren wie ein Popstar gefeierte frühere Offensiv-Virtuose der Mannschaft viel Erfolg für die EM – auch ohne seine Erfahrung.
Giggs ist gegen Kaution auf freiem Fuss. Er darf sich weder seiner Ex-Freundin noch deren Schwester nähern. Rund anderthalb Monate vor Turnierstart hatte der walisische Verband mitgeteilt, dass Page bei der EM als Chef auf der Bank sitzt.
Giggs bietet Rat an – Wales gegen Schweiz Aussenseiter
Sein berühmter Freund habe ihm angeboten, zu helfen, «falls ich irgendeinen Rat oder eine andere Sicht auf die Dinge brauche», sagte Page. Der frühere U21-Coach sieht sich jedoch keinesfalls als Befehlsempfänger: «Die Verantwortung an der Seitenlinie liegt bei mir», sagte er.
Dass Wales erneut so auftrumpft wie vor fünf Jahren in Frankreich, als man im Halbfinale unter Trainer Chris Coleman mit 0:2 am späteren Champion Portugal scheiterte und damit den grössten Erfolg der Nationalteam-Historie feierte, ist trotz guter Leistungen gegen die Teams auf Augenhöhe zuletzt unwahrscheinlich.
Der bis dato letzte Sieg gegen eine wirkliche Spitzenmannschaft liegt lange zurück. Leistungsträger wie Bale, Ramsey oder Joe Allen hatten in der abgelaufenen Saison zudem mit Verletzungen zu kämpfen. Von ihrem Fitnesszustand und ihrer Form im physisch anspruchsvollen Spiel der Waliser wird vieles abhängen.
Zum Auftakt geht's am Samstag um 15 Uhr (live auf Blue TV) in Baku gegen die Schweiz. Anschliessend treffen die Drachen in ihrer Gruppe auf die Türkei und Favorit Italien. Die Spiele sind auch eine Chance für Page und den walisischen Verband, das Thema Giggs zumindest in sportlicher Hinsicht in den Hintergrund zu drängen.
Sa 12.06. 14:00 - 17:30 ∙ SRF zwei ∙ ASE 2021 ∙ 210 Min
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