Gelson Fernandes Gelson Fernandes: «Ich sehe keinen Top-Favoriten, für die Nati ist an der EM alles möglich»

Von Jan Arnet

11.6.2021

Gelson Fernandes (rechts) machte zwischen 2007 und 2018 67 Spieler für die Schweizer Nati.
Gelson Fernandes (rechts) machte zwischen 2007 und 2018 67 Spieler für die Schweizer Nati.
Bild: Keystone

An drei WM- und zwei EM-Endrunden war Gelson Fernandes dabei. Jetzt drückt der 34-Jährige der Schweiz von zu Hause aus die Daumen. Mit «blue Sport» spricht Fernandes vor dem Start der Euro 2020 über die Ambitionen der Nati, sein Tor 2010 gegen Spanien und Vladimir Petkovic.

Von Jan Arnet

Gelson Fernandes, zum ersten Mal seit 2006 fährt die Schweiz ohne Sie an eine Endrunde. Wie ist es, jetzt als Fan zu Hause vor dem TV zu sitzen?

Das wird nicht einfach für mich. Ich denke, das wird sehr emotional. Es ist das erste Mal, dass ich ein Turnier auf diese Weise erlebe. Aber ich freue mich sehr.

2008 und 2010 waren Sie in der Startelf gesetzt. 2014 und 2016 dann Ergänzungsspieler. 2018 haben Sie keine Minute gespielt. Wie ist, an einer Endrunde dabei zu sein und nicht zum Einsatz zu kommen?

Du weisst, dass du zu den 23 besten Spielern der Schweiz gehörst und fährst an dieses Turnier, um alles fürs Team zu geben. Es können halt nicht alle spielen und jedem muss bewusst sein, dass nur elf Spieler auf dem Platz stehen können. Dein Ego muss da in den Hintergrund rücken. Wenn du etwas älter bist, ist es einfacher, wenn du nicht so viel spielst wie erhofft.

67 Länderspiele haben Sie für die Schweiz gemacht. Die meisten Fans behalten aber diesen einen Moment in besonderer Erinnerung: Ihr Siegestor gegen Spanien an der WM 2010. War es der schönste Moment in Ihrer Karriere?

Es war ein grossartiger Moment, aber wohl nicht der allerschönste. Mein Highlight in der Nati war ganz klar der WM-Achtelfinal 2014 gegen Argentinien – auch wenn wir verloren haben. Wir haben dieser Startruppe um Lionel Messi einen grossen Kampf geliefert und konnten die Leute begeistern, das war unglaublich.

Das Highlight in Fernandes' Nati-Karriere: Der WM-Achtelfinal gegen Argentinien und Messi.
Das Highlight in Fernandes' Nati-Karriere: Der WM-Achtelfinal gegen Argentinien und Messi.
Bild: Keystone

2014 schaffte es die Schweiz beinahe in den WM-Viertelfinal. 2010 war trotz des Siegs gegen den späteren Weltmeister schon nach der Gruppenphase Schluss. Woran lag es?

Wir hatten da auch sehr viel Pech. Vor allem im Spiel gegen Chile (Anm. d. Red: Die Schweiz verlor 0:1). Behrami flog nach einem umstrittenen Entscheid vom Platz. Und die Chilenen hatten ohnehin eine gute Mannschaft und mit Marcelo Bielsa einen Top-Trainer. Den Achtelfinal haben wir dann aber mit dem 0:0 gegen Honduras verspielt.

Was braucht es, um an einer WM oder EM erfolgreich zu sein?

Vom Kader her braucht es einen guten Mix von erfahrenen Spielern und jungen Wilden. Wichtig ist aber auch die Mentalität innerhalb der Mannschaft. Du bist mehrere Wochen zusammen, da liegt kein Knatsch drin. Die Stimmung im Team ist entscheidend.

Was erlaubt Vladimir Petkovic seinen Spielern an so einem Turnier?

Er hat uns abseits des Platzes immer viele Freiheiten gegeben. Natürlich konnten wir nicht ausgelassen feiern gehen, wir waren da immer sehr professionell und haben auf uns aufgepasst.

Ist die Nati heute besser als noch vor drei Jahren in Russland?

Ich denke schon. Jetzt hat das Team mehr Erfahrung und unglaublich viel Qualität. Sommer, Akanji, Xhaka und Shaqiri sind sehr wichtig, aber das gesamte Kader ist top. Einzig in der Offensive fehlt mir einer, der ins Dribbling gehen und den Match so mit einer Einzelaktion entscheiden kann. Aber nicht Einzelspieler werden den Unterschied ausmachen, sondern das Team.

Ist es sogar die beste Nati aller Zeiten?

Das kann sein, aber das müssen die Spieler nun bestätigen. Ich bin mir sicher, dass sie ein gutes Turnier spielen werden.

Was trauen Sie der Nati an dieser EM zu?

Zuerst gilt es, diese schwierige Gruppe zu überstehen. Dann ist alles möglich.

Sogar der EM-Titel?

Ich hoffe es. Einen Top-Favoriten sehe ich zumindest nicht.

Vladimir Petkovic gewährt seinen Spielern abseits des Platzes stets viele Freiheiten, sagt Gelson Fernandes. In diesem Jahr wird dies coronabedingt wohl etwas anders sein.
Vladimir Petkovic gewährt seinen Spielern abseits des Platzes stets viele Freiheiten, sagt Gelson Fernandes. In diesem Jahr wird dies coronabedingt wohl etwas anders sein.
Bild: Keystone