«Wir müssen offen sein» Lichtsteiner über seine solidarische Geste: «Der Schweizer muss offen sein»

jar

1.7.2018

Provokation oder Freude? Stephan Lichtsteiner macht im Spiel gegen Serbien den Doppeladler.
Provokation oder Freude? Stephan Lichtsteiner macht im Spiel gegen Serbien den Doppeladler.
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Der Doppeladler-Jubel von Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Stephan Lichtsteiner sorgte vergangene Woche für viel Aufregung und geteilte Meinungen. Der Nati-Captain spricht nun erstmals über den Vorfall.

Stephan Lichtsteiner kam nach seinem Doppeladler-Jubel im Spiel gegen die Serben um eine Spielsperre herum und muss lediglich eine Geldstrafe zahlen (5000 Franken). Spielen darf der Nati-Captain im Achtelfinal dennoch nicht, weil er sich im letzten Gruppenspiel gegen Costa Rica seine zweite Gelbe Karte abholte. 

Das Doppeladler-Thema ist mittlerweile glücklicherweise abgehakt, alle Schweizer blicken mit Vorfreude auf den Showdown gegen Schweden am Dienstag. Lichtsteiner erklärt in einem Intwerview mit dem «Tagesanzeiger» nun aber die Beweggründe, warum er sich zur umstrittenen Jubelgeste hinreissen liess. 

«Das ist keine böse Geste oder so. Es ist nur Freude ohne Ende. In der 90. Minute machen wir durch Xherdan das 2:1, wir wissen: He, die Qualifikation für die Achtel­finals ist jetzt ganz nah. Das ist so emotional, nichts von dem, was dann passiert, ist geplant. Es geht um Druck, um Emotionen», sagt Lichtsteiner. Und holt weit aus: «In den Köpfen war am Anfang drin: Die Konstellation ist sehr wahrscheinlich so, dass wir das zweite Spiel gewinnen müssen. Wir begannen mit dem 1:1 gegen ­Brasilien, alles gut. Aber dann ­kommen die Provokationen.» Der Nati-Captain meint vor allem Provokationen von serbischen Medien, die im Spiel gegen die Schweiz mehr einen Krieg gegen eine albanische ­Auswahl sahen.

«Ein solidarischer Akt»

Lichtsteiner: «Trotzdem gehen wir nicht ins Spiel und empfinden Hass. Sondern wir wissen: Wir stehen unter Druck, wir müssen gewinnen. Es geht nur ums Sportliche.» Als das Team dann nach einem Pausenrückstand ins Spiel zurückfand, seien die Emotionen übergeschwappt. Nicht nur bei den Spieler mit albanischen Wurzeln, auch bei Lichtsteiner, der als Leader der Mannschaft Solidarität beweisen wollte. «Wenn ich als Captain nicht solidarisch bin, wer soll es sonst sein? Wenn du dich nicht für deine Kollegen, Freunde, Lieben einsetzt, auch wenn du dich damit unbeliebt machst, hast du als Mensch wenig Werte. Es ist ein solidarischer Akt. Das hat uns noch mehr zusammengeschweisst.»

Mit Herz und Leidenschaft dabei: Stephan Lichtsteiner.
Mit Herz und Leidenschaft dabei: Stephan Lichtsteiner.
Keystone

Dennoch betont der künftige Arsenal-Profi, dass der Jubel nicht geplant gewesen sei und seine Reaktion kein bewusster Akt war. «Es kam aus der Emotion heraus, aus der Solidarität. Ich musste zuerst überlegen, wie man den (Adler) überhaupt macht.»

Es sei ihm auch darum gegangen, zu zeigen, dass die Nati eine Einheit ist. «Wir sind ein Land mit viel Multikulti. Ich weiss, dass das Thema spaltet, dass es für viele kein Grau gibt, sondern nur Weiss oder Schwarz», sagt Lichtsteiner, der vor drei Jahren noch eine Diskussion um Schweizer Identifikationsfiguren anregte und damals sozusagen von Befürwortern des Adlerjubels an den Pranger gestellt wurde. «Ich weiss, dass ich ein Mensch bin, der polarisiert. Viele haben sich wohl gefragt: Wieso setzt sich der Lichtsteiner für die ein?» Auch wegen der Diskussionen in der Vergangenheit wollte sich der Captain für seine Mitspieler einsetzen. «Ich stehe für die Schweizer Werte ein und schaue, dass sie verteidigt werden.»

«Der Schweizer muss versuchen zu helfen»

Lichtsteiner spricht von Solidarität und Integration. «Der Schweizer muss offen sein und versuchen zu helfen, damit Integration möglich wird. Wir haben ein Land, das so hervorragend funktioniert. Wenn wir es fertig bringen, solidarisch zu sein, kann es noch besser werden.» Mit seinem Jubel gegen Serbien sei es nie um Politik gegangen. «Überhaupt nicht! Sondern nur darum: zu helfen und Farbe zu bekennen. Ich verstehe aber, dass nicht alle meine Ansicht teilen. Ich akzeptiere andere Meinungen und Haltungen.»

Aus dem Vorfall lernen will er dennoch. Er, wie auch seine Mitspieler, wollen versuchen, die Emotionen im Griff zu haben und keine Grenze zu überschreiten. Lichtsteiner: «Aus den Emotionen heraus kann viel ganz spontan passieren. Aber wenn alle nur noch sagen: Okay, Tor, okay, Achtelfinal, Händeschütteln, fertig – dann stimmt doch etwas auch nicht mehr.»

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