«Schwer zu akzeptieren» Schweizer WM-Aus wirft Fragen auf: Warum spielte die Nati so emotionslos?

SDA

3.7.2018 - 21:22

Der kollektive Schweizer Energieverlust im besten WM-Moment ist zu thematisieren. Emotionslos, aber nicht schmerzlos lässt sich die SFV-Auswahl von Schweden in Russland aus dem Turnier drängen.

Was bleibt nach der dreiwöchigen Russland-Expedition zurück? Ein bemerkenswertes Comeback gegen den Rekordweltmeister Brasilien, eine energische zweite Hälfte unter erschwerten atmosphärischen Bedingungen gegen Serbien (2:1), eine gesamthaft betrachtet ansprechende Gruppenphase - aber eben auch die schmerzhafte Tatsache, in den wichtigsten 90 Turnierminuten kein Volumen mehr entwickelt zu haben, sondern nahezu spurlos verschwunden zu sein und im grossen Kontext keine Fortschritte gemacht zu haben.

«Wann, wenn nicht jetzt?» Nicht nur Blerim Dzemaili stellte sich im Vorfeld des Duells mit den personell durchschnittlich bestückten Schweden diese berechtigte Frage. Der Gegner hat zwar in den letzten Tagen und Qualifikations-Monaten Grössen wie Deutschland, Italien und die Niederlande hinter sich gelassen, ihn nun aber deswegen gleich der Schwergewichtsklasse zuzuordnen, wäre übertrieben. Die Nordländer praktizieren eine eher simple und destruktive Form von Fussball.

Dass den Schweizern im Duell mit einem generell tiefer dotierten Kontrahenten, der schwedischen Trainerangaben zufolge vor zwei Jahren nach dem EM-Abgang am Nullpunkt stand, nahezu nichts Konstruktives in den Sinn kommt, wirft diverse Fragen auf. Ein kollektiver Spannungsverlust der Führungsspieler, ein mentaler Einbruch im wichtigsten Moment, eine lähmende Ratlosigkeit in der gegnerischen Platzhälfte – ein Auftritt ohne Entschlossenheit, ein erheblicher Rückfall zur Unzeit.

Petkovic: «Die Emotionen fehlten»

Überraschend war nicht, was die Schweden anboten, sondern wie unbeholfen die Schweizer darauf reagierten. Ihrem unattraktiven, aber effizienten Stil, dem Spiel das Tempo zu rauben und den Gegner vom Energiekreislauf abzuschotten, blieb Janne Anderssons Mannschaft selbstredend treu. Mehr unternahm sie nicht, mehr war nicht nötig. Kein Effort, kein Traumtor, ein abgefälschter Schuss reichte. «Gegen uns war das gut genug», resümierte Vladimir Petkovic. «Die Emotionen fehlten.» Enttäuschend wenig war gut genug am letzten Tag einer lange vielversprechenden Schweizer WM-Kampagne.

Ihm fehlten im verlorenen Achtelfinal gegen Schweden die Emotionen: Nationaltrainer Vladimir Petkovic
Ihm fehlten im verlorenen Achtelfinal gegen Schweden die Emotionen: Nationaltrainer Vladimir Petkovic
Source: Getty Images

Der erhöhte Pulsschlag blieb danach aus. In der ersten Aufarbeitung des weitgehend geräuschlosen Abgangs aus Russland bilanzierten die Beteiligten trotz erheblicher Enttäuschung gefasst und selbstkritisch. Immer wieder drang durch, wie bemühend sie die Art und Weise des Scheiterns empfanden. «Schlecht» oder wahlweise «schwer zu akzeptieren» sei das 0:1 zum unspektakulären Abschluss.

In einer nächsten ruhigen Minute wird sich der Schweizer Selektionär die Frage gefallen lassen müssen, warum die Mannschaft in einem grossen Moment nicht für einen Exploit bereit war. Ihm fiel prima vista zwar ein, «dass gegen die Schweden niemand Emotionen aufbauen konnte», aber eine Prise mehr Entschlossenheit und Temperament wäre seiner teilweise regungslosen Elf schon zu wünschen gewesen.

War die Abwesenheit des Captains entscheidend?

Dass ausgerechnet Petkovic es nicht schaffte, ein gewisses Feuer zu entfachen, ist eigenartig. Er spürt das Team in der Regel gut und ist als ungemein aktiver Coach bekannt. In seinem zweiten Achtelfinal innerhalb von zwei Jahren fand der Tessiner allerdings keinen Weg und keine Lösung, das Emotions-Vakuum einzudämmen, der mental blockierten Equipe Frischluft zuzuführen.

An Tagen wie jenen von St. Petersburg, an welchen nach einem mehrheitlich guten Zyklus plötzlich der Eindruck überwiegt, die Mannschaft stehe still und stelle sich selber infrage, wäre auf dem Rasen Leadership gefragt gewesen. Genau in solchen schwierigen Momenten wird das Gewicht des gesperrten Captains Stephan Lichtsteiner ersichtlich.

Der nach zwei Verwarnungen nicht spielberechtigte Ex-Juventus-Verteidiger besitzt eine mentale Urkraft, die im Schweizer Team beispiellos ist. Wenn Petkovic in der Analyse das Defizit an feuriger Auflehnung anführt, wird er dabei an Lichtsteiner gedacht haben. Er kann, was viele seiner Kollegen (noch) nicht können: notfalls mit seinem Dickschädel durch die gegnerische Wand.

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