Sarina Wiegman ist die einzige Frau unter den acht Nationaltrainern, die in Australien und Neuseeland noch um den WM-Titel spielen. Die Niederländerin ist aber vor allem ein Erfolgsgarant.
Es war vom Start der Frauen-WM an ein Missverhältnis: Von den 32 Teilnehmern hatten 20 einen Mann als Cheftrainer. Es heisst Frauen tun sich schwerer, sich für einen solchen Posten zu bewerben oder Verbände haben Mühe, eine Frau dafür zu verpflichtet – je nachdem, bei wem man nachfragt. Auffällig ist, dass auch mehrere Nationen, die in der Gleichberechtigung vorangehen, auf Männer als Nationalcoaches setzen, etwa Schweden oder Dänemark.
Was für die Männer und gegen die Frauen auf der Trainerbank spricht, bleibt geheimnisvoll. Die Erfolgsbilanz ist es auf jeden Fall nicht: Von den letzten zwölf grossen Turnieren wurden elf von Teams gewonnen, die von einer Trainerin betreut wurden. Bei den letzten beiden Europameisterinnen hatte Sarina Wiegman das Sagen, 2017 bei der Niederlande, 2022 bei England.
Der grosse Durchbruch 2017
Wiegman ist von den acht im WM-Turnier verbliebenen Trainern nicht nur die einzige Frau, sondern auch jene mit dem bekanntesten Namen und dem eindrücklichsten Palmarès. Dieses beinhaltet neben den beiden EM-Titeln niederländische Meisterschaften, Cupsiege und persönliche Auszeichnungen wie die dreimalige Wahl zur FIFA-Trainerin des Jahres. Heute ist sie eine der einflussreichsten Personen im Frauenfussball. Ihr Wort hat Gewicht. Ihre Erfolge sprechen Bände.
Den Grundstein zur internationalen Karriere legte Wiegman 2017, als sie nur sechs Monate nachdem sie Nationaltrainerin geworden war, die Niederlande zum EM-Titel führte. Bevor Wiegman kam hatte das Team fünf von sieben Testspielen verloren. «Wir haben spielerisch das eine oder andere verändert», erinnert sie sich. «Aber vor allem wurde die Mentalität verbessert, die Art und Weise, wie sich die Spielerinnen selber betrachten.»
Im Uni-Team mit Ham und Lilly
Anspruchsvoll sei sie, aber auch eine, die gern mehr erfährt über das Leben ihrer Spielerinnen, heisst es von früheren Weggefährtinnen. Wiegman ist geprägt von der amerikanischen Trainer-Philosophie, in der es nicht nur darum geht, Spielerinnen sportlich weiterzubringen, sondern sie auch zu umsorgen und charakterlich zu festigen. An der Universität von North Carolina spielte sie 1989, fünf Jahre nachdem Basketball-Ikone Michael Jordan dort seinen Abschluss gemacht hatte, an der Seite von späteren US-Grössen wie Mia Hamm, Kristine Lilly und Carla Overbeck. «Es hat mich verändert und geprägt», sagt sie über dieses Jahr in Übersee.
Wiegman erkannte in den USA zum ersten Mal, wie Frauenfussball sein kann – professionell und leidenschaftlich. Ein starker Kontrast zu dem, was sie in den Niederlanden erlebte. Dort hatte sie als Sechsjährige in der Umgebung von Den Haag mit dem Fussball begonnen, indem sie sich als Junge ausgab. Mit kurzen Haaren und ihrem Zwillingsbruder im gleichen Team machte sie die ersten Dribblings. «Ab und zu wurde ich als Mädchen entlarvt. Die Reaktionen waren unterschiedlich», erinnert sie sich.
Gegen Nigeria gealtert
In gut 35 Jahren im Fussballgeschäft, darunter eine Saison als Assistentin bei den Männern von Sparta Rotterdam, hat Wiegman die Entwicklung ihrer Sportart genaustens beobachten können. Nicht alles geht so rasch voran, wie sie es gern hätte. Aus dem Tritt gerät sie deswegen nicht. Darauf angesprochen, dass sie die einzige Trainerin im WM-Viertelfinal ist, reagiert Wiegman unaufgeregt: «Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Trainerinnen im Fussball gibt, dass das Gleichgewicht besser wird.» Man arbeite daran, zumindest in England.
Ihre Wahlheimat zählt zunächst in erster Linie auf sie, um den ersten WM-Titel seit dem Triumph der Männer 1966 zu gewinnen. Die Vorzeichen stehen nach dem Out der USA gut, «The Lionesses» gelten seither als Favoritinnen. Wie wenig Bedeutung an dieser ausgeglichenen Weltmeisterschaft der Favoritenstatus hat, zeigte sich aber im Achtelfinal erneut: Nur dank den besseren Nerven im Penaltyschiessen setzten sich die Engländerinnen gegen Nigeria durch.
Nach dem Achtelfinal habe sie sich zehn Jahre älter gefühlt, erzählt Wiegman. Noch nie habe sie bei einem Turnier so viele Probleme lösen müssen. Zu den verletzungsbedingten (Turnier-)Absenzen von Captain Leah Williamson und EM-Topskorerin Beth Mead, beides Teamkolleginnen von Lia Wälti bei Arsenal, kommt nun die Sperre von Lauren James, die gegen Nigeria mit Rot vom Platz flog, hinzu. Trotzdem ist England im Viertelfinal am Samstag gegen Kolumbien klarer Favorit, und Wiegman die verbliebene WM-Trainerin mit den besten Karten.