Kommentar So unfassbar treu sind die «Doppelbürger-Fussballer» der Schweiz

Patrick Lämmle

8.7.2018

Josip Drmic wurde erst nach dem dritten Anlauf eingebürgert.
Josip Drmic wurde erst nach dem dritten Anlauf eingebürgert.
Bild: Getty Images

Die Diskussionen rund um Doppelbürger in der Nati laufen heiss. Je länger man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto grotesker kommt einem das Ganze vor. Ein Kommentar.

In der Schweiz gibt es für einige Nachwuchstalente ein spezielles Förderprogramm, genannt Footuro. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, investiert der Schweizerische Fussballverband (SFV) für jeden dieser speziell geförderten Nachwuchskicker rund 25’000 Franken pro Jahr. Den acht besten jedes Jahrgangs lege der SFV ein Papier vor (sofern sie Doppelbürger sind), das sie unterzeichnen müssten. Mit der Unterschrift verpflichten sie sich und versprechen, dass sie später die Ausbildungskosten zurückbezahlen, sollten sie sich irgendwann doch für eine andere Nation entscheiden. So soll verhindert werden, dass der SFV Geld in den Sand setzt.

Die Strafklausel wurde eingeführt, um Junioren früh an die Schweiz zu binden. Man reagierte damit auf die «Verluste» von Mladen Petric (Kroatien), Ivan Rakitic (Kroatien), Zdravko Kuzmanovic (Serbien), Kerim Frei (Türkei) und Izet Hajrovic (Bosnien-Herzegowina). Sie alle genossen eine Schweizer Ausbildung und spielten später in einem anderen A-Nationalteam. Seit 2003 sind solche Nationenwechsel möglich.

U17-Weltmeister-Coach Dany Ryser: «Doppelbürger habe ich immer als Chance für den Schweizer Fussball gesehen»

Die «Sonntagszeitung» schreibt allerdings, dass eine solche Klausel juristisch fragwürdig sei und sich vor Gericht kaum durchsetzen liesse. Das Schweizerische Obligationenrecht lasse solche Verträge gar nicht zu. SFV-Direktor Hansruedi Hasler sagt gegenüber der «Sonntagszeitung» denn auch, dass es sich beim Papier eher um ein «Gentleman’s Agreement» handle. Und Dany Ryser, der die Schweizer U17-Nati 2009 sensationell zum WM-Titel führte, erklärt gegenüber der «Tages-Anzeiger»: «Wir wollten damit ein Zeichen setzen, um das Bekenntnis der Spieler zu spüren. Die Unterschrift ist eine moralische Verpflichtung.»

Gegen Doppelbürger hat Ryser aber nichts einzuwenden, im Gegenteil, er sieht in ihnen eine Bereicherung für alle. «Diese Vielfalt war unsere Stärke. Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen hat uns alle bereichert – mich als Trainer genauso wie die Spieler mit nur einem Pass. Die Doppelbürger habe ich immer als Chance für den Schweizer Fussball gesehen, nie als Problem.»

Das Problem existiert in der Realität gar nicht

Die Aussage von Miescher, dass man kein Geld für Spieler ausgeben wolle, die sich später für einen anderen Verband entscheiden würden, ist im Grundsatz nachvollziehbar. Besonders in Tagen, an denen Ivan Rakitic, der Mann aus Möhlin, ausgebildet in der Schweiz, mit Kroatien das Halbfinale erreicht und die Schweiz nach dem Achtelfinal die Segel streichen muss.

ABER: Seit es die Strafklausel gibt, hat noch NIE ein Talent die Unterschrift verweigert und der SFV musste noch NIE Geld einfordern. Das Problem mit Doppelbürgern, die sich reihenweise gegen unsere Nati entscheiden, existiert heutzutage also nur in den Köpfen vieler Schweizer – zum Beispiel in jenem von SFV-Generalsekretär Alex Miescher –, nicht aber in der Realität.

Ryser wundert sich denn auch: «Warum reden wir ständig von den fünf, die gewechselt haben, und nicht von den 25, die sich voller Überzeugung für die Schweiz entschieden haben?» Über Spieler wie Josip Drmic etwa. Er wurde vom kroatischen Verband bereits umgarnt, als er noch nicht einmal im Besitz eines Schweizer Passes war. Erst im dritten Anlauf wurde Drmic eingebürgert – und entschied sich dann für die Schweiz. Die «Doppelbürger-Fussballer» sind der Schweiz in den letzten Jahren unglaublich treu geblieben.

An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle Xhakas, Shaqiris, Drmics und Embolos da draussen. Ihr habt euch trotz anderen Optionen für die Schweiz entschieden! Das ist nicht selbstverständlich, denn ihr hattet alle die Wahl.


Miescher schürt Ängste allem «Fremden» gegenüber

Die Doppelbürgerschaft abzuschaffen sei (aus diversen Gründen) unsportlich und unverhältnismässig, schreibt die «NZZ» in einem Kommentar. Und das Qualitätsblatt denkt auch über den Fussball hinaus: «Wer in der Schweiz die teure Ausbildung zum Arzt absolviert, dem kann man nicht verbieten, im Ausland zu praktizieren. Oder wer wie Miescher auf Kosten der Öffentlichkeit Volkswirtschaft studiert, soll mit seinem Diplom machen dürfen, was ihm behagt. Das sind liberale Prinzipien, festgeschrieben in der Verfassung. Wer sie wegen der Partikularinteressen eines Sportverbandes ausser Kraft setzen will, ist anmassend. Er geht hinter die Errungenschaften von 1848 zurück. Das ist penibel, auch für einen Sportfunktionär.»

Dass so viele Doppelbürger den Sprung in die Nationalmannschaft schaffen, hat diverse Gründe. Der Offensichtlichste überhaupt: Jeder vierte Mensch mit einem Schweizer Pass ist Doppelbürger. Und nun diskutiert das ganze Land wegen ein paar Fussballern, die wir an eine andere Nation verlieren könnten (Betonung auf könnten), darüber, ob jeder vierte Mensch in der Schweiz vor die Wahl gestellt werden sollte, den «fremden» Pass abzugeben, um Schweizer bleiben zu dürfen?! Wie absurd und traurig ist denn das?

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