Teil 2 Wie Deutschland, England, Frankreich und Italien bei der WM 2022 aussehen könnten

Von Syl Battistuzzi

16.7.2021

Für viele DFB-Fans ein grosser Hoffnungsträger: Bayerns Jamal Musiala.
Für viele DFB-Fans ein grosser Hoffnungsträger: Bayerns Jamal Musiala.
Bild: Getty

Die EM 2021 ist bereits Geschichte. Schon in eineinhalb Jahren geht es mit der WM 2022 in Katar weiter. Während einige Mannschaften sicher auf neue Kräfte setzen müssen, können andere Teams auf bewährte Spieler zurückgreifen. Teil 2 mit Deutschland, England, Frankreich und Italien.

Von Syl Battistuzzi

16.7.2021


Deutschland

Durchschnittsalter Kader bei der EM: 27,5 Jahre alt

Wer ist sicher/mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr dabei: Toni Kroos (31)

Wackelkandidaten: Ilkay Gündogan (30), Mats Hummels (32)

Tor: Routinier Manuel Neuer (35) wird auch in Katar zwischen den Pfosten stehen. Weiterhin nur eine Nebenrolle darf daher Marc-André ter Stegen (29) einnehmen, der bei Barça hervorragende Leistungen zeigte. 

Abwehr: Ob Rückkehrer Hummels bei Trainer Hansi Flick noch eine Rolle spielt, ist mehr als fraglich. Vielleicht kehrt eher noch Jerome Boateng (32) zurück, der bei den Bayern in der letzten Saison der stärkste Innenverteidiger war. Neben Antonio Rüdiger (28) kämpfen Niklas Süle (25), Robin Koch (24), Jonathan Tah (25) oder Matthias Ginter (27) um einen Platz – Letzterer kann auch rechts ran. Dort soll aber eigentlich zukünftig Ridle Baku (23) wirbeln, der für viel Power sorgen kann. Auf der linken Seite hat sich Robin Gosens (27) mit seiner starken EM einen Vertrauensvorschuss erarbeitet. 

Mittelfeld: Joshua Kimmich (26) will seine Qualitäten wieder wie im Klub im Zentrum einbringen. Gündogan soll sich unsicher sein, ob er seine Nationalmannschaftskarriere fortsetzt. Beendet hat das Kapitel schon Kroos. Mit Leon Goretzka (26), Florian Neuhaus (24) oder Emre Can (27) ist man aber gut aufgestellt. Hinter den Spitzen besteht mit Juwel Jamal Musiala (18), Champions-League-Held Kai Havertz (22) und Thomas Müller (31) – der unter Flick weiter spielen will – ebenfalls keine Not.

Sturm: Bei Timo Werner (25) haben viele DFB-Fans gemischte Gefühle. Noch konnte er sein volles Potenzial nicht abrufen. In der Hinterhand hat man noch Super-Talent Youssoufa Moukoko (16). Mit Serge Gnabry (26), Florian Wirtz (18) und Leroy Sané (25) hat man auf den Flügeln eine exklusive Auswahl zur Verfügung.

Sorgenkind: Die Nationalmannschaftskarriere von Sané ist bisher ein Fiasko. Bei der EM 2016 schied man immerhin erst im Halbfinale aus, für die WM 2018 bot ihn Jogi Löw gar nicht auf, an der EM 2021 enttäuschte er. Dabei verkörpert der pfeilschnelle Flügel Weltklasse, wenn er seine Normalform erreicht. Die blitzte aber auch letzte Saison nur selten auf bei Bayern. Seit seinem Transfer von Man City lief bei ihm fast alles schief.

Zukunftsaussichten: ➡️ Einerseits verliert man Toni Kroos, dessen Wert viele DFB-Fans unterschätzen. Auch Hummels und Gündogan fehlen wahrscheinlich beim nächsten grossen Turnier. Andererseits bekommen nun Talente wie Baku, Musiala oder Neuhaus (noch) mehr Spielzeit. Im Gegensatz zu anderen Top-Nationen stehen bei vielen Positionen einige Fragezeichen dahinter. Das Potenzial für einen Wiederaufbau ist aber sicher vorhanden. 


England

Durchschnittsalter Kader bei der EM: 25,4 Jahre alt

Wer ist sicher/mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr dabei: -

Wackelkandidaten: Jordan Henderson (31) 

Tor: An Jordan Pickford (27) lag es nicht, dass es nicht mit dem EM-Titel klappte. Dean Henderson (24) könnte mit starken Leistungen bei Man Utd aber sicher ein wenig mehr Druck machen.

Abwehr: Die Zentrale ist mit Harry Maguire (28) und John Stones (27) hochkarätig besetzt. Noch mehr Auswahl hat man auf den Seiten: Links kämpfen Luke Shaw (26) und Ben Chilwell (24), rechts ist das Gedränge mit Kyle Walker (31), Kieran Trippier (30), Reece James (21) und Trent Alexander-Arnold (22) sogar noch dichter. 

Mittelfeld: Declan Rice (22) und Kalvin Phillips (25) haben bewiesen, dass sie auch international bestehen können. Dahinter lauert der frühreife Jude Bellingham (18) auf seine Chance. Ob Henderson das Trio herausfordern kann, ist daher ungewiss. Offensiv setzt man viel Hoffnung in Mason Mount (22) und Fan-Liebling Jack Grealish (25). 

Sturm: Mit Bukayo Saka (19), Raheem Sterling (26), Marcus Rashford (23), Phil Foden (21), Jadon Sancho (21) oder Mason Greenwood (19) herrscht Crème de la Crème auf den Flügeln. Und im Sturmzentrum ist Harry Kane (27) gesetzt.

Sorgenkind: Alexander-Arnold ist zwar in Liverpool absoluter Leistungsträger und sammelt sogar viele Skorerpunkte, aber unter Gareth Southgate muss(te) er bei den Three Lions öfters die Bank drücken. Ironie des Schicksals, das ausgerechnet er sich kurz vor EM-Start verletzte. Ob er es unter diesen Voraussetzungen schafft, in der Hierarchie der Rechtsverteidiger aufzusteigen?

Zukunftsaussichten: ⬆️ Ausser auf der Goalie-Position herrscht überall hoher Konkurrenzdruck. Überall duellieren sich Spieler mit Weltklasse-Format. Vor allem offensiv läuft bei allen Fussball-Fans das Wasser im Mund zusammen. Ob die Stars aber auch freien Auslauf erhalten, entscheidet auch der Trainer mit. Southgate schaffte es mit seiner vorsichtigen Taktik zwar in den Final, aber der erhoffte Coup blieb aus. In Katar müssen die Engländer ihr Heil in der Offensive suchen.

Für Lothar Matthäus war Kyle Walker der beste Spieler der EM.
Für Lothar Matthäus war Kyle Walker der beste Spieler der EM.
Bild Keystone

Frankreich

Durchschnittsalter Kader bei der EM: 28,0 Jahre alt

Wer ist sicher/mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr dabei: Olivier Giroud (34)

Wackelkandidaten: Hugo Lloris (34), Moussa Sissoko (31), Karim Benzema (33), Adrien Rabiot (26)

Tor: Die langjährige Stammkraft Lloris war nicht für das EM-Aus verantwortlich. Er schwankt, ob er weiter bei Tottenham bleiben oder in die Heimat zurückkehren soll. Wenn Lloris aufgrund seines Alters der l'Équipe Tricolore den Rücken kehren sollte, steht mit Mike Maignan (26) der neue Milan-Goalie bereit für die Nachfolge.

Abwehr: Mit Raphaël Varane (28), Dayot Upamecano (22) Jules Koundé (22), Presnel Kimpembe (25), Kurt Zouma (26), Clément Lenglet (26) oder Ibrahima Konaté (22) hat man im Abwehrzentrum viele Optionen. Dennoch verwunderlich, dass Aymeric Laporte (nun gesetzt bei Spanien) nie eine Chance erhielt. Ebenso wartet Theo Hernández (23), der bei Milan überragende Vorstellungen auf der linken Seite zeigt, noch immer auf sein Debüt. Immerhin hat sein Bruder Lucas Hernández (25), der auch im Zentrum spielen kann, ihn da gut vertreten. Eigentlich Stamm dort ist aber Ferland Mendy (26). Rechts hinten ist weiter Bayerns Benjamin Pavard (25) gesetzt.

Mittelfeld: N'Golo Kanté (30) und Paul Pogba (28) ergänzen sich gut. Dahinter lauern mit Eduardo Camavinga (18) und Houssem Aouar (23) zwei interessante Talente. Bei Corentin Tolisso (26) erhoffte man sich mehr. Und ob Rabiot mit seiner streitbaren Mutter innerhalb des Teams noch viel Support hat, darf bezweifelt werden. Auf den Flügeln besitzt man zwar mit Kingsley Coman (25) und Ousmane Dembélé (24) zwei pfeilschnelle, aber ebenso verletzungsanfällige Spieler. Hinter den Spitzen geniesst Antoine Griezmann (30) weiterhin das Vertrauen von Coach Didier Deschamps. 

Sturm: Giroud musste an der EM für Rückkehrer Benzema Platz machen. Noch fünf Tore fehlen dem zukünftigen Milan-Profi, bis er den Rekord von Thierry Henry einstellen könnte (mit 55 Treffern Rekordtorschütze Frankreichs). Zu befürchten ist, dass er aber bald seinen Posten im Team ganz räumen muss. An Kylian Mbappé (22) kommt niemand vorbei, auch Benzema will trotz seines Alters nach der langen Wartezeit sicher noch bei der WM glänzen. 

Sorgenkind: Bei Anthony Martial (25) wartet man noch auf den grossen Durchbruch. Bei Manchester United hat der einstige Hoffnungsträger sich  nie wirklich durchgesetzt und pendelte stets zwischen Ersatzbank und Startelf. Dem phlegmatisch wirkenden Stürmer wird oft die fehlende Kaltblütigkeit zum Verhängnis. Aufgrund einer im Frühling erlittenen  Knieverletzung wird sein Comeback in der Nationalmannschaft umso schwieriger.

Zukunftsaussichten: ↗️Das Kader ist immer noch bestückt mit hervorragenden Individualisten. Doch an der EM stolperte man über die eigene Überheblichkeit. Deschamps steht nun vor der schwierigen Aufgabe, das Teamgefüge wieder zu kitten. Ausserdem muss auch er über die Bücher und sein starres Konzept überdenken, wenn die Franzosen ihren WM-Titel in Katar erfolgreich verteidigen wollen.

Olivier Giroud bekam an der EM insgesamt 40 Einsatzminuten.
Olivier Giroud bekam an der EM insgesamt 40 Einsatzminuten.
Bild: Keystone

Italien

Durchschnittsalter Kader bei der EM: 27,8 Jahre alt

Wer ist sicher/mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr dabei: -

Wackelkandidaten: Leonardo Bonucci (34), Giorgio Chiellini (36) und Franesco Acerbi (33)

Tor: Gianluigi Donnarumma (22) wurde zum Spieler des Turniers ausgezeichnet. Er besitzt alle Anlagen, um auch zukünftig der Beste seines Fachs zu sein. Der PSG-Profi ist im Nationalteam für das nächste Jahrzehnt ausser Konkurrenz.

Abwehr: Bonucci und Chiellini ist ein wahres Meisterstück gelungen. Kein Gegner dribbelte sich an der EM an ihnen vorbei. Doch auch beim hochgelobten Duo tickt die biologische Uhr. Vor allem bei Chiellini ist die Befürchtung da, es nicht mehr nach Katar zu schaffen. In der Defensive kamen auch Francesco Acerbi (33) und Rafael Toló (30) von der Ü30-Fraktion zum Einsatz. Neben den Routiniers setzt man grosse Hoffnungen in Alessandro Bastoni (22) und Gianluca ManciniI (25). Alessio Romagnoli (26) ist in der Gunst etwas gesunken und muss derzeit selbst bei Milan um den Stammplatz kämpfen. Auf den Seiten ist man links mit Leonardo Spinazzola (28) und Emerson (26) sowie rechts Giovanni Di Lorenzo (27), Alessandro Florenzi (30) oder Davide Calabria (24) ebenfalls gut aufgestellt. 

Mittelfeld: Jorginho (29), Nicolò Barella (24) und Marco Verratti (28) führten glänzend Regie. Stefano Sensi (25), Lorenzo Pellegrini (25) oder Manuel Locatelli (23) müssen erstmal hinten anstehen. Grosse Erwartungen weckt Nicolò Zaniolo (22). Der AS-Roma-Profi hat das gewisse Etwas, aber leider auch schon viel Verletzungspech. 

Sturm: Auf den Flügeln hat man mit Federico Chiesa (23), Lorenzo Insigne (30), Domenico Berardi (26) und Federico Bernardeschi (27) viel Qualität. Nach einer ordentlichen EM-Gruppenphase tauchte der designierte Torjäger Ciro Immobile (31) in der K.o.-Phase immer mehr ab – irgendwie bezeichnend für seine Nati-Karriere. Andrea Belotti (27) bringt zwar viel Wasserverdrängung mit, aber internationale Klasse verkörpert er nicht. So überraschte es etwas, dass der polyvalente Moise Kean (21) nach einer starken Saison bei PSG kein Platz im EM-Kader fand. Nichtsdestotrotz steht die Türe bei Mancini für ihn offen. 

Sorgenkind: Sandro Tonali (21) gilt als designierter Nachfolger von Andrea Pirlo. In seiner ersten Saison bei Milan kam er aber nicht über die Rolle als Joker hinaus. Zwar verfügt er über ein tolles Passspiel, wirkt aber nicht sehr dynamisch. So muss man kein Prophet sein, wenn man ihm unter der Ägide von Mancini eine schwere Zukunft prognostiziert. 

Zukunftsaussichten: ↗️ Es hängt viel vom Abwehrduo Bonucci/Chiellini ab. Wenn die beiden ihre Form noch eineinhalb Jahre konservieren können, ist es ein Glücksfall. Ansonsten verliert man viel Zeit, um die Nachfolger entwickeln zu lassen. Den EM-Titel sollte nicht überdecken, dass man immer noch nicht eine Lösung im Sturmzentrum gefunden hat (beziehungsweise ob man nicht auf Kean setzen soll). Weil Italien auf allen anderen Positionen sehr gut aufgestellt ist, darf man im Land des Europameisters optimistisch sein.

Moise Kean muss sich ins Team reinkämpfen.
Moise Kean muss sich ins Team reinkämpfen.
Bild: Getty