Die Sport-Serie Hoch geflogen, tief gefallen – Teil 1: Paul Gascoigne

Patrick Lämmle

9.4.2018

Wenn der Ruhm verfliegt und der Rum fliesst: Paul Gascoigne hat alles erlebt.
Wenn der Ruhm verfliegt und der Rum fliesst: Paul Gascoigne hat alles erlebt.
Bild: Getty Images

In unserer fünfteiligen Serie «Hoch geflogen, tief gefallen», erzählen wir die Geschichten von Helden, die nach ihrer Karriere ins Elend stürzten. Teil 1: «Enfant terrible» Paul Gascoigne.

Paul Gascoigne, 1967 geboren, war ein begnadeter Fussballer. Englands grosser Hoffnungsträger. Kicken lernte er mit einem Tennisball, weil sich seine Eltern keinen Fussball leisten konnten. Doch sein Talent blieb nicht unentdeckt und so erhielt der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Gascoigne einen Vertrag in der Premier League.

1988 wählte man ihn zum «Nachwuchsfussballer des Jahres», zwei Jahre später schaffte er den Durchbruch auf der ganz grossen Bühne. An der WM 1990 in Italien führte der stark aufspielende «Gazza» die Engländer bis ins Halbfinale. In diesem Spiel sah er in der Verlängerung Gelb und wäre im Finale gesperrt gewesen. Am Ende setzten sich aber die Deutschen in einem dramatischen Elfmeterschiessen durch. Nach dem Spiel weinte Gascoigne bittere Tränen. Im Spiel um Platz 3 durfte er zwar nicht mittun, die Bronzemedaille liess er sich dennoch strahlend um den Hals hängen.

Gascoigne nach dem Aus gegen Deutschland und  mit der Bronzemedaille.
Gascoigne nach dem Aus gegen Deutschland und  mit der Bronzemedaille.
Bild: Getty Images

Der dribbelstarke Kämpfer und Anpeitscher «arbeitete» aber schon während dieser Zeit an seinem Untergang. So erzählt er in seiner Autobiographie, wie er einen Tag vor dem Viertelfinale stundenlang oben ohne in der italienischen Sonne Tennis gegen amerikanische Touristen gespielt habe. Auch vor dem Halbfinale gegen Deutschland fand er keinen Schlaf und irrte stundenlang durchs Hotel. Auch soll er sich einmal von Kopf bis Fuss mit Ketchup eingeschmiert haben und sich dann neben seinen schlafenden Trainer auf den Hotel-Balkon gelegt haben.

Über «Gazza» kursieren so viele Anekdoten, dass man ein dickes Buch füllen könnte, um alles zu erzählen. Vieles steht natürlich auch in seiner Biografie «Gazza – mein verrücktes Leben». Eine Lektüre, über den etwas anderen Profi.

2004 präsentiert Gascoigne seine Biografie. Würde sie heute erscheinen, sie wäre um einige traurige Kapitel reicher.
2004 präsentiert Gascoigne seine Biografie. Würde sie heute erscheinen, sie wäre um einige traurige Kapitel reicher.
Bild: Getty Images

Die irre Geschichte rund um die Heim-EM 1996

Unzählige Eskapaden lagen bereits hinter ihm und doch gehörte er vor der Heim-EM 1996 wieder zu Englands Nationalteam. Die Mannschaft bereitete sich in China und Hong Kong auf das Turnier vor, um dem Medienrummel in der Heimat zu entgehen – ohne Erfolg. Schon auf dem Hinflug randaliert Gascoigne betrunken im Flugzeug. Der Pilot habe damit gedroht, die Mannschaft in Russland aus dem Flieger zu werfen, erinnert sich Teamkollege Robbie Fowler. Das Fass zum Überlaufen brachten die Engländer aber nach einem 3:0-Sieg in einem Testspiel gegen China. Vom Trainer erhielten sie einen Freipass, was sich als grosser Fehler entpuppte.

Einige Spieler um Gascoigne liessen sich in einem Nachtclub an einen Zahnarztstuhl fesseln und schütteten sich Alkohol in die Kehlen. Prompt landeten Fotos davon in der englischen Boulevardpresse – in einer Zeit lange vor Social Media. Auf dem Rückflug habe «Gazza» dann mindestens ein Klapptischchen und ein TV-Gerät in der Rückenlehne zerstört, wie ein Mitspieler später erzählte. Die Medien forderten vehement den Rauswurf des Krawallmachers.

Ein Bild, das in der «Times» erschien.
Ein Bild, das in der «Times» erschien.
Bild: Twitter

Doch Trainer Terry Venables setzte auf seinen Badboy. Und tatsächlich spielte er ein grossartiges Turnier, der Höhepunkt war sein Geniestreich gegen die Schotten. Ein Tor, an das man sich noch Jahre später erinnern sollte (Video unten). Weniger bewusst nahmen wir damals vielleicht den Torjubel wahr. Am Boden liegend liess er sich von seinen Mitspielern Wasser in den Rachen spritzen – damit wollte er mit den Journalisten abrechnen, die ihm Alkoholprobleme vorgeworfen hatten. Wie 1990 scheiterte der Schweizer Gruppengegner (1:1) erst im Halbfinale, wieder verloren die Engländer im Elfmeterschiessen gegen Deutschland.

Der symbolträchtige Torjubel von «Gazza».
Der symbolträchtige Torjubel von «Gazza».
Bild: Getty Images

Gascoigne soff sich fast zu Tode …

In den folgenden Jahren blieben die sportlichen Höhepunkte aus, Schlagzeilen machte er fortan ausschliesslich neben dem Platz. Er landete noch während seiner Laufbahn als Fussballer in Enzugsanstalten und wurde mehrere Male verhaftet. Vierzehn Wochen nach seiner Hochzeit prügelte er seine Frau krankenhausreif, mal fuhr er betrunken Auto oder wurde rassistisch ausfällig.

Bilder, die in den letzten Jahren erschienen sind, zeigten einen total verwahrlosten Gascoigne, der bereits mit einem Bein im Grab zu stehen schien. Alkohol, Drogen und Tabletten waren zu dieser Zeit seine treusten Begleiter. Doch er hat alles überlebt, auch die Tage auf der Intensivstation.

Dieses Foto von Gascoigne erschien 2016 in der «Sun».
Dieses Foto von Gascoigne erschien 2016 in der «Sun».
Bild: Twitter

... doch er scheint einen Ausweg gefunden zu haben

Laut eigenen Angaben vesucht er gegenwärtig sein krankes Leben in den Griff zu bekommen. Es wäre Gazza zu wünschen, dass er die Kurve kriegt und noch ein paar ruhige Jahre weiter leben darf. Die neusten Bilder machen Hoffnung. Gazza besuchte diesen März ein Training von Everton und posierte gut gelaunt und trocken mit den Spielern.

Paul Gascoigne lässt sich am 2. März 2018 mit Everton-Star Wayne Rooney ablichten.
Paul Gascoigne lässt sich am 2. März 2018 mit Everton-Star Wayne Rooney ablichten.
Bild: Getty Images
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