Rückblick Ein Hund namens Pickles findet gestohlenen WM-Pokal und erlangt Heldenstatus

Von Patrick Lämmle

19.3.2020

Am 20. März 1966 wird in London der eigentlich rund um die Uhr bewachte WM-Pokal gestohlen. Dass die Engländer wenige Monate später den Triumph an der Heim-WM doch mit dem Pokal feiern konnten, ist einem Hund namens Pickles zu verdanken, dem eigentlichen Star der WM.

Der Diebstahl des WM-Pokals sorgte weltweit für Schlagzeilen. Die Trophäe, die der frühere FIFA-Vizepräsident Ottorino Barassi in einem Schuhkarton unter seinem Bett sicher durch den Zweiten Weltkrieg gebracht hatte, wurde den Engländern aus der Ausstellung «Sport und Briefmarken» in der Central Hall in Westminster einfach so entwendet.

Und das nur ein paar Hundert Meter vom englischen Parlament entfernt und obwohl der Pokal, so war es vereinbart, rund um die Uhr hätte überwacht werden müssen. Doch während der Mittagspause drang der Dieb durch die Hintertür ein und entwendete den Pokal, ohne Spuren zu hinterlassen. Scotland Yard wurde eingeschaltet, doch sie jagten vergebens nach der Trophäe. Ein Hund namens Pickles sollte das Rätsel Tage später lösen und Heldenstatus erlangen.

Lösegeldforderung

Eine Woche nach dem Diebstahl ging beim FA-Vorsitzenden Joe Mears eine Lösegeldforderung ein: «Werter Joe, Sie sind über den Verlust des WM-Pokals sicher zutiefst beunruhigt. Für mich ist das bloss ein Stück Goldschrott. Wenn ich bis Donnerstag oder spätestens Freitag nichts von Ihnen höre, landet er im Schmelztiegel.» Der Absender, der sich «Jackson» nannte, forderte 15'000 Pfund Lösegeld. Wo der Pokal versteckt sei, verriet er nicht. Die Häme aus aller Welt wuchs, der Gastgeber erntete für den peinlichen Verlust viel Kritik. Plötzlich stand auch die Frage im Raum, ob die Engländer fähig sein würden, die Sicherheit bei der WM zu gewährleisten.

Abrain Tebel vom brasilianischen Sportverband spottete in der «Times», dass Brasilien als Weltmeister den Pokal acht Jahre lang ohne Probleme gehütet habe. «Das wäre in Brasilien nie passiert. Selbst brasilianische Diebe lieben Fussball. Sie würden niemals solch ein Sakrileg begehen.» Erwähnenswert ist das bloss deshalb, weil Diebe den Pokal 17 Jahre später in Rio de Janeiro stahlen – und er tauchte nie mehr auf. Welch Ironie des Schicksals.

Schliesslich ging man auf die Lösegeldforderung ein und vereinbarte eine Übergabe in einem Park. «Jackson», in Tat und Wahrheit hiess er Edward Betchley, konnte schliesslich verhaftet werden. Er machte allerdings glaubhaft, dass er bloss ein Mittelsmann sei. Während des Prozesses meinte er noch: «Wie auch immer meine Strafe ausfällt, ich hoffe, dass England den WM-Pokal gewinnt.» Betchley wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Kleiner Trost: Sein Wunsch mit dem WM-Pokal ging in Erfüllung. Der eigentliche Dieb wurde übrigens nie gefasst.

Pickles, ein englischer Held

Und dann kam der grosse Auftritt von Pickles, eine schwarz-weiss gefleckte Promenadenmischung aus Süd-London. Der zweijährige Hund machte sein Herrchen, den 26-jährigen Themse-Fährmann David Corbett, beim Gassigehen auf ein eng in Zeitungspapier eingewickeltes Paket unter einem Busch aufmerksam. Erst habe er das Paket gar nicht öffnen wollen, aus Angst, es könnte sich um eine Bombe der Irish Republican Army (IRA) handeln, so Corbett. Doch die Neugier habe gesiegt: «Ich riss ein Stück der Zeitung ab und sah eine runde Scheibe. Als ich mehr Papier abriss, kamen die Inschriften zum Vorschein – Brasilien, Deutschland, Uruguay ... Ich ging schnell nach Hause zurück und sagte zu meiner Frau: ‹Ich glaube, ich habe den WM-Pokal gefunden!›.»

Seine Frau zeigte sich offenbar ähnlich unbeeindruckt, wie die Polizisten, denen er den Fund vorzeigte. Diese glaubten zunächst, es handle sich um eine Fälschung. Als die Echtheit des Pokals dann aber bestätigt worden war, geriet Corbett in den Fokus: «Ich war für die Polizei der Hauptverdächtige! Das war mir nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen, bevor ich dort in der Cannon-Row-Polizeiwache sass.» Nach ein paar Wochen wurde sein Name dann allerdings von der Liste der Verdächtigen gestrichen.

Ehre, wem Ehre gebührt

Es folgten zahlreiche Auftritte in TV-Shows und bei öffentlichen Anlässen sowie die Übergabe einer Belohnung. Corbett erhielt 3'000 Pfund Finderlohn, damals der Verdienst von gut vier Jahren für einen Fährmann. Und dreimal so viel, wie später jeder Spieler aus Englands Weltmeisterteam erhalten sollte. Auch Pickles wurde reichlich belohnt, erhielt eine Medaille und eine Jahresration Hundefutter. Im Film «Der Spion mit der kalten Nase» hatte der Vierbeiner ebenfalls seinen grossen Auftritt.

Beim WM-Eröffnungsspiel sass der Vierbeiner mit seinem Herrchen in der Ehrenloge und nach dem Titelgewinn Englands wurden Corbett und Pickles zum Festbankett des Teams eingeladen. Auch bei diesem Fest hinterliess der in ganz England heiss geliebte Hund eine Duftmarke seines «Könnens». So soll er sich im Fahrstuhl des Fünfsternehotels erleichtert haben, was seiner Beliebtheit keinen Abbruch tat – im Gegenteil.

Doch 1973 mussten die Engländer von ihrem Lieblingshund Abschied nehmen. Zeitungen vermeldeten den tragischen Tod Pickles. Bei der Jagd nach einer Katze hatte er sich selbst an seinem Halsband stranguliert.

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