Unsere Bilanz Drei Jahre Videoschiedsrichter – mehr Fluch als Segen?

Die Sportredaktion

3.11.2020

Der Diskussionsbedarf bleibt auch drei Jahre nach Einführung des VAR gross.
Der Diskussionsbedarf bleibt auch drei Jahre nach Einführung des VAR gross.
Bild: Keystone

Etwas mehr als drei Jahre gehört der Video-Assistant-Referee (VAR) nun zum Fussballgeschäft. Je nach Liga kommt der Videoschiedsrichter unterschiedlich zum Einsatz, im Grossen und Ganzen ist er aber überall derselbe, und: er polarisiert! Höchste Zeit, ein Urteil zu fällen.

«Ich vermisse meinen alten Fussball», jammert Tottenham-Trainer José Mourinho am Sonntagabend nach dem 2:1-Sieg gegen Brighton. Der Portugiese spricht dabei über einen höchst umstrittenen VAR-Entscheid, der den Spurs beinahe den Sieg kostete. «Ich vermisse meinen alten Fussball. Mit Torlinientechnologie», korrigiert er dann.

Ein bisschen Technologie wünscht sich Mourinho also, einfach nicht zu viel. Aber ab wann ist es zu viel Technologie, ab wann geht unser heiss geliebter Ballsport aufgrund von VAR-Entscheidungen kaputt? Und folgt tatsächlich auf jeden richtigen Entscheid ein umstrittener? Unsere Redaktoren schätzen ein.

 

«Falsche Hoffnung»

Tobias Benz

Das Problem des VAR sind die Regeln. Die falsche Hoffnung, neuartige Videotechnologie könne dem ewigen Diskurs im Fussball ein Ende setzen, ist wenig überraschend als solche bestätigt worden. Mit Kameras auf strittige Elfmeterentscheide zu zoomen, macht so viel Sinn, wie mit der Lupe den Geschmack der Bratwurst zu eruieren.

Subjektiv interpretierbare Regeln bleiben auch nach genauerem Hinschauen subjektiv interpretierbar. Dem einen schmeckt die Bratwurst, dem anderen nicht. Für mich war es ein Handspiel, für dich nicht. Der VAR sollte nicht dort zum Einsatz kommen, wo korrekte Entscheidungen am dringendsten erhofft werden, sondern dort, wo er korrekte Entscheidungen fällen kann. Man will immer noch viel zu viel.


 

«Falscher Einsatz des VAR»

Jan Arnet

Dass Schiedsrichter durch Technik Hilfe erhalten und das Spiel dadurch fairer wird, ist an und für sich bestimmt keine schlechte Sache. Doch so, wie der VAR bislang eingesetzt wird, ist er für den Fan mehr Leid als Freud. Lange Wartezeiten stören den Spielfluss und nicht immer kann man die (korrigierten) Entscheide des Videoassistenten nachvollziehen.

Des Problems Lösung wäre, wenn nicht die Schiedsrichter entscheiden, ob die strittige Szene überprüft wird, sondern die Teams beziehungsweise die Trainer selber. Wie etwa beim Eishockey oder im Tennis.

Die Idee: Jeder Coach kriegt einen VAR-Check pro Spiel oder Halbzeit und kann selber bestimmen, wann der Schiedsrichter eine Szene überprüfen muss. Bestätigen die Unparteiischen den Verdacht des Trainers, kriegt dieser den Check zurück. Liegt der Coach falsch, hat er Pech gehabt und verliert seinen «Joker».

Das würde die ganze Sache nicht nur fairer machen, sondern auch ein ganz neues taktisches Element schaffen. Nehme ich meinen Check schon zu Beginn des Spiels bei dem möglichen Handspiel? Oder warte ich den Spielverlauf ab und spare mir den «Joker» auf?


 

«Das VAR-Grundgerüst ist unumgänglich»

Syl Battistuzzi

Die Rolle des VAR: Den Fussball gerechter zu machen. Hat er die Ungerechtigkeiten ganz ausgemerzt? Natürlich nicht. Doch haben die Fehlentscheide gesamthaft abgenommen? Ja, haben sie. Das Problem ist (noch) die Anwendung. Der VAR darf nur in vier Spielsituationen eingreifen: Tore, Penaltys, Platzverweise und Verwechslungen von Spielern. Dabei haben die Länder unterschiedliche Herangehensweisen. 

Während in der Super League der VAR dezent zum Einsatz kommt (also wirklich nur eine Art Airbag für die Schiedsrichter), wird in anderen Ligen viel aktiver eingegriffen und damit das System untergraben. Die Schweiz hat Glück, dass sie aus finanziellen Gründen keine kalibrierten Linien ziehen kann.

Wenn man mit dem Lineal nachprüfen muss, sollte man den Tatsachenentscheid der Unparteiischen akzeptieren. Die Ausweitung des VAR muss deshalb unterbunden werden. Das Grundgerüst ist aber schlicht unumgänglich.


 

«Wie weit darf der VAR gehen?»

Nicolò Forni

Der VAR ist zweifellos ein Werkzeug, das bei verantwortungsvollem Umgang Fehler korrigieren kann, die leider immer Teil des Fussballspiels waren. Die Verwendung soll allerdings mit Vorsicht bedacht sein! Beim Abseits zum Beispiel.

Eigentlich sollten die Linienrichter in Abseitsfällen darauf abzielen, den Angriff zu begünstigen und die Aktion im Zweifelsfall mit dem Videoschiedsrichter fortsetzen zu lassen. Allerdings wird bei einem Abseits heutzutage die Position der an der Aktion beteiligten Spieler unter dem Mikroskop analysiert, um zu verstehen, ob sich der Angreifer mit dem Kinn vor oder hinter dem Verteidiger des letzten Gegners befindet. Eine ziemlich absurde Situation.

Lohnt es sich in solchen Fällen, in denen es um Millimeter geht, wirklich, auf den VAR zurückzugreifen? Ist der Angreifer in einer vorteilhaften Position gegenüber dem Verteidiger, wenn er einen halben Millimeter näher am Tor steht? Vielleicht müsste in diesem Sinne die Abseitsregel geändert werden, wenn die Verwendung des VAR in grossem Umfang beibehalten werden soll.

Was werden wir in Zukunft tun? Denn darüber müssen wir sprechen. Werden wir diesen Sport, den wir so sehr lieben, ändern, um durch das technologische Falkenauge Verbesserungen zu kreieren, oder werden wir den Falken an die Leine nehmen und die Spieler die Spiele entscheiden lassen, und nur bei schwerwiegenden Fehlern eingreifen?

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