Nati-Captain Yann Sommer versucht, im Platzinterview Gründe für den Einbruch seines Teams zu finden. Und offenbart einen tiefen Einblick in die heutige Fussballwelt.
Fairplay steht beim SFV ganz oben (Artikel 2) auf der Liste. Doch die Maxime ist offenbar (noch) nicht zu allen seinen Spielern durchgedrungen. Goalie Yann Sommer versuchte gestern gegenüber Radiosender «SRF 3» Gründe für den Einbruch seiner Mannschaft, die in der letzten Viertelstunde noch einen 3:0-Vorsprung aus der Hand gab, zu finden. Neben den üblichen Phrasen lässt ein Satz von ihm beonders aufhorchen. So sagte der 30-Jährige unverblümt: «Man muss auch halt manchmal auf den Boden gehen, einen Krampf vortäuschen.»
Mit Yann Sommer trat ausgerechnet ein Muster-Profi ins Fairplay-Fettnäpfchen. Der in Herrliberg aufgewachsene Sommer hat viele Interesssen abseits des Fussballs, er kocht leidenschaftlich und klimpert zur Entspannung gerne mal auf seiner Gitarre rum. Mit seiner offenen und zuvorkommenden Art ist der «Sonnyboy» nicht nur bei den Fans, sondern auch bei der Medienschar sehr beliebt. Gepaart mit seinem Charisma und seiner Intelligenz machen ihn diese Attribute zum idealen Anführer. Bei Gladbach ist der 1,83 Meter grosse Sommer Vize-Captain und schon lange Mitglied im Mannschaftsrat. Und in der Nati übernahm er gestern nach der Auswechslung von Granit Xhaka dessen Captain-Binde. Ein Leader und Vorbild also, wie man sich ihn wünscht.
«Vorbild» Sommer mit fatalem Signal
Auf seiner Homepage steht: «Ein Keeper, der hält, was er verspricht und weiter denkt, als er auskickt.» Dieses «Weiterdenken» beinhaltet für ihn offenbar auch, den Fairplay-Gedanken offen mit Füssen zu treten (oder in seinem Fall mit Händen wegzufausten). Im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen traute man ihm stets zu, dass ihn diese Unsitte im modernen Fussball nicht kalt lässt. Leider war dies offenbar eine Illusion.
Natürlich: In einem Platzinterview oder kurz danach geben die Spieler selten die besten Sätze von sich. Schliesslich sind sie noch voller Adrenalin und haben noch keine Zeit gehabt, ihre Gedanken zu ordnen. Andererseits lässt dieses Szenario hin und wieder durchschimmern, was die Spieler wirklich denken. In diesen Momenten vergessen sie ihre üblichen weichgespülten und mediengerechten Plattitüden. Stattdessen kriegt man einen ungefilterten Einblick in ihr Innenleben. Yann Sommer – und damit höchstwahrscheinlich also die ganze Schweizer Nationalmannschaft – simulieren also wenn nötig mit einem Krampf. Sportsgeist geht anders.
Leider ist diese Erkenntnis weder bahnbrechend noch neu: Wie man diese «Philosophie» in die Tat umsetzt, hat unlängst Bayerns Javi Martinez vorgemacht. Der Mittelfeldspieler täuschte im Hinspiel gegen Liverpool in der Schlussphase einen Krampf vor. Bayern-Trainer Niko Kovac meinte danach: «Also der Javi hat gute Laufleistungswerte, das heisst, er kann gar keinen Krampf haben, das ist alles auch ein bisschen gespielt.» Es gehe letzten Endes auch darum, ein bisschen Ruhe reinzubringen. Er lobt seine Spieler für dieses Verhalten: «Das machen sie gut, dafür haben sie die Erfahrung.»
Nach heftiger Kritik musste Kovac zurückkrebsen: «Ich bin mir meiner Aussage bewusst, vielleicht war das unnötig oder dumm. Zeitspiel ist ein Teil des Spiels, ich will das nicht entschuldigen, aber ich glaube, dass das in die falsche Richtung geht.»
Auf dem gleichen (oder unfairen) Pfad sind also auch Sommer und der SFV unterwegs. Spätestens jetzt sollte allen Fussball-Fans bewusst sein, dass alle Kampagnen zu Fairplay nur Makulatur sind. Falls jemals Pfiffe für die Schweizer Nati angebracht waren, dann für diesen Satz.
SFV-Kommunikationschef Marco von Ah sieht die ganze Sache mehr als Lackmustest: «Da sieht man, wie hoch der Schweizerische Fussballverband den Fairplay-Gedanken hält. Sonst hätten das die Spieler ja gemacht.»