Interview Spielanalyst der U21-Nati erklärt: «Es geht um Technik, Intelligenz, Persönlichkeit und Schnelligkeit»

Von Patrick Lämmle

11.4.2020

Enrico Schirinzi: In seiner Rolle als Spielanalyst will er helfen, Spieler aufs nächste Level zu hieven.
Enrico Schirinzi: In seiner Rolle als Spielanalyst will er helfen, Spieler aufs nächste Level zu hieven.
Bild: Keystone

Enrico Schirinzi hinterliess auf Schweizer Fussballplätzen seine Spuren. Heute arbeitet der 35-Jährige auf Mandatsbasis als Spielanalyst beim Schweizerischen Fussballverband und gewährt einen Einblick in seinen Job.

Im ersten Teil unseres Interviews haben wir den Übergang vom Profifussballer ins Leben danach beleuchtet. Im zweiten Teil spricht «Bluewin» mit Enrico Schirinzi über seinen Job beim SFV.

Neben Ihrer Anstellung bei einer Versicherung arbeiten Sie auf Mandatsbasis für den Schweizer Fussball Verband. Was ist Ihre Rolle?

Ich bin Spielanalyst und somit Bestandteil vom technischen Staff. Mein Hauptpart ist die Spielanalyse bei der U21-Nationalmannschaft. Ich schaue mir diverse Spiele an und teile meine Beobachtungen mit dem Trainer. Und während der Zusammenzüge bin ich mit der Mannschaft unterwegs.

Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Wir haben den Spielplan der Super League und Challenge League. Mauro Lustrinelli, der Trainer der U21, macht eine Planung, wer vom Staff welches Spiel schauen geht. Nach den Spielen rapportieren wir an den Trainer. Ich bin oft in Bern, Thun, Zürich oder Luzern, manchmal in Sion. Und dann konzentrieren wir uns auf die Spieler, die in der U21-Nati spielen und auf die, die ein Thema sind. Wir betreiben also auch Scouting. Wir beobachten auch Spieler der A-Nati. Dort ist unser Einfluss aber sehr begrenzt, da sind andere dafür verantwortlich.

Gibt es einen Leitfaden, an dem Sie sich orientieren können?

Ja, es gibt die sogenannte Tips-Bewertung, da geht es um die Aspekte Technik, Intelligenz, Persönlichkeit und Schnelligkeit. Da gibt es viele Unterpunkte. Wir achten etwa auf die Körpersprache, Dynamik, Spielfreude, Tempo. Trifft einer oft einfache und richtige Entscheidungen, ist er beidfüssig, wie risikofreudig und mutig treten die Spieler auf. Es sind ungefähr 30 Punkte, auf die wir besonders achten.



Und dann sitzen Sie auf der Tribüne und machen sich Notizen?

Am Anfang war es wirklich so, dass ich einen Notizblock dabei hatte und extrem viele Sachen aufgeschrieben habe. Inzwischen kann ich mich noch mehr darauf konzentrieren, das Spiel einfach in voller Länge zu beobachten. Denn ich habe gemerkt, dass ich nicht vergesse, was ich gesehen habe. Nach dem Spiel fahre ich nach Hause und mache dann den Rapport. Die schriftliche Bewertung ist sehr an das vorgegebene Tips-Raster gebunden. Das ist sehr gut, um einen Gesamtüberblick zu haben und Spieler vergleichen zu können. Im Austausch mit dem Trainer gehen wir dann aber schon noch tiefer ins Detail.

Wie sieht der Austausch mit dem Trainer aus?

Mauro Lustrinelli hat immer ein offenes Ohr. Aber er ist der Chef, trägt die Verantwortung und muss am Ende Entscheidungen treffen. Aber wir sitzen regelmässig zusammen und hören uns auch sonst jeden zweiten Tag. Auch jetzt sind wir noch oft in Kontakt, obwohl der Fussball stillsteht.

Am Ende müssen die Informationen auch beim Spieler landen, damit er weiss, woran er ist. Wie funktioniert dieser Austausch?

Der Trainer ist ständig in Kontakt mit den Spielern, telefonisch oder auch mal vor Ort. Dabei geht es auch darum, den Spielern zu vermitteln, welche Faktoren in der Nati, auch in Bezug auf unsere taktische Ausrichtung, wichtig sind. Im Klub liegen die Schwerpunkte möglicherweise anders. Jeder Verein spielt sein System und je nachdem sind andere Punkte wichtig. Das soll auch so sein, wir mischen uns da in keinster Weise ein. Aber wir können den Spielern sagen, wie wir es bei uns haben wollen.

Können Sie ein konkretes Beispiel machen?

Nehmen wir die Position des Aussenverteidigers. Da geht es darum, dass er eine Position findet, wo er immer angespielt werden kann und es für den Gegner gleichzeitig schwierig wird, ihn zu verteidigen. Wir zeigen dem Spieler, wo diese Position ist. Nicht zu tief, nicht zu hoch, das sind kleine Details, da reden wir von ein paar Metern. Aber in unserer Ausrichtung sind diese Meter dann entscheidend. So etwas geben wir den Spielern mit.

Kann man es mit dem Analysieren auch übertreiben?

Analysen sind ja nur ein kleiner Teil im gesamten Puzzle. Wichtig ist auch, dass man nicht nur Fehler aufzeigt. Man darf ruhig auch Bilder zeigen, wo sich die Spieler genau richtig verhalten haben. Die Mischung macht es aus. Ansonsten wäre das auch frustrierend, wenn man immer nur hören würde, was man nicht gut gemacht hat.

Weil die Spieler sonst die Lust verlieren?

Ja, das wäre nicht gut. Vor dem Spiel haben wir einen Plan und manchmal stellt man als Spieler für sich vielleicht das eine oder andere infrage oder versteht den Sinn hinter einer Vorgabe nicht ganz genau. Wenn man dann aber nach dem Spiel zeigen kann, dass das, was man gepredigt hat, auch funktioniert, dann kann das beim Spieler einen Aha-Effekt auslösen. Es macht auch Sinn, eine Situation herauszupicken, die man einmal gut und einmal schlecht gelöst hat. Das bleibt dann sicher haften. Bei all dem geht es nie darum, den Spieler zu erniedrigen. Wir wollen den Spielern helfen, noch besser zu werden. Auf dem Platz nimmt man manchmal Sachen anders wahr, als sie wirklich sind. Die Aussensicht kann einem da schon die Augen öffnen.

Gibt es denn für jede Situation die richtige Lösung?

In der Theorie vielleicht schon. Aber wir alle haben ja selbst gespielt und uns ist bewusst, dass auf dem Platz alles in kürzester Zeit passiert und man nicht immer die richtige Entscheidung treffen kann. Wir wollen aber Prinzipien vermitteln, an denen sich die Spieler orientieren können und die sie verinnerlichen sollten, damit sie möglichst oft gute Entscheidungen treffen können. Aber man hat auch immer einen Gegner auf dem Platz, der es in der Regel auch gut macht.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass Spieler gehemmt werden, wenn man zu viele Vorgaben macht?

Ja, da muss man sicher aufpassen. Jeder bringt seine eigenen Qualitäten mit, dem muss man Rechnung tragen. Wir wollen sicher keine Roboter züchten, da würde die Spielfreude dann auch auf der Strecke bleiben und dann hätten wir das Ziel ganz klar verfehlt. Es gibt auch nicht ein Rezept für alles. Man kann nicht jede Aktion vorbereiten.

Wie sind Sie als Spieler mit Videoanalysen umgegangen?

Ich war immer empfänglich für Kritik, aber ich habe meine Aktionen nicht so gerne im Gremium angeschaut, egal ob positiv oder negativ. Aber das ist eine Typenfrage, da ist jeder ganz anders. Es gibt Spieler, die sich ihre guten Aktionen immer und immer wieder anschauen. Die schwören regelrecht darauf, sich auf diese Art und Weise auf die Spiele vorzubereiten und sich zusätzlich zu motivieren. Ich finde das überhaupt nicht verkehrt, aber ich war das einfach nicht. Ein Trainer muss auch wissen, wie er einen Spieler am besten erreichen kann. Da haben wir mit Mauro Lustrinelli einen Trainer, der diesbezüglich ein sehr gutes Gespür hat, wie ich meine.

Ab welchem Alter wird mit Videoanalysen gearbeitet?

Das ist natürlich unterschiedlich, aber es ist heute keine Ausnahme, wenn in einer U14 mit Videoanalysen gearbeitet wird. Das hat sich in den letzten Jahren unglaublich entwickelt. Als ich im YB-Nachwuchs gespielt hatte, da gab es so etwas definitiv noch nicht.

Derzeit steht alles still. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Situation um?

Langweilig wird mir nicht, ich arbeite jetzt einfach noch mehr für die Versicherung. Ich tue das im Homeoffice, denn ich finde es wichtig, dass wir nun alle die Regeln befolgen. Ich kann mir leider nicht vorstellen, dass sich die Lage so schnell beruhigt, man muss bloss die täglich veröffentlichten Zahlen anschauen. Wenn es dann wieder weitergeht, dann sollten wir uns einfach umso mehr freuen. Vielleicht schätzt man nach so einer Krise noch mehr, was man hat. Bis es so weit ist, versuche ich, positiv zu bleiben, was mir bis jetzt ganz gut gelingt. Und dass ich jetzt etwas mehr Zeit mit meiner Familie verbringen kann, das ist ja auch schön. Und doch hoffen wir natürlich alle, dass es in absehbarer Zeit weitergeht. Aber da sitzen wir ja alle im gleichen Boot.

Zurück zur StartseiteZurück zum Sport