«Man betet, dass es aufhört» Droht in der Formel 1 ein Fahreraufstand gegen die Hoppel-Autos?

Von Luca Betschart

13.6.2022

Lewis Hamilton plagen nach dem Rennen in Baku Rückenprobleme.
Lewis Hamilton plagen nach dem Rennen in Baku Rückenprobleme.
Bild: Getty

Nach dem Rennen in Baku kann Lewis Hamilton vor Schmerzen kaum aus seinem Cockpit steigen. Kommt es gar zu einem Fahreraufstand gegen die herausfordernden Hoppel-Autos? 

Von Luca Betschart

«Mist! Mein Rücken bringt mich um», funkt Lewis Hamilton beim Grossen Preis von Aserbaidschan bereits kurz nach Rennhälfte. Nur unter grossen Schmerzen schafft es der siebenfache Weltmeister in Baku als Vierter über die Ziellinie. «Ich habe mich einfach durchgebissen aufgrund der Schmerzen und des Adrenalins», macht Hamilton auf die gravierenden Probleme mit seinem Auto aufmerksam. «Ich kann gar nicht sagen, wie viele Schmerzen man dabei hat, vor allem auf der Geraden. Am Ende betet man einfach nur, dass es aufhört.»

Hamiltons malträtierter Rücken ist der neuen Fahrzeuggeneration geschuldet. Seit 2022 setzt man wieder auf den sogenannten «Ground Effect». Bei hohem Tempo werden die Formel-1-Autos auf den Asphalt gepresst. Das Auto verliert kurzzeitig Antrieb, gewinnt nach kurzem Bodenkontakt im Gegenzug aber wieder an Höhe. Das mag aerodynamische Vorteile mit sich bringen, vor allem aber beginnt der Boliden zu hüpfen.

Insbesondere Mercedes hat damit zuletzt arg zu kämpfen, immer wieder werden die Fahrer im Cockpit heftig durchgerüttelt. Toto Wolff bestätigt nach dem Rennen, dass es seinem Aushängeschild wirklich schlecht gehe. Der Mercedes-Teamchef mutmasst gar, dass Hamilton der am schlimmsten betroffene Fahrer im Feld ist. «Das geht echt tief auf die Wirbelsäule und das hat Folgen», so Wolff. Eine Zwangspause für den angeschlagenen 37-Jährigen sei «definitiv» möglich.

(Fast) eindeutige Rückmeldung der Piloten

Schon nach dem Qualifying am Samstag wählt auch Hamiltons Teamkollege George Russell klare Worte. «Es ist einfach brutal. Wir werden komplett durchgeschüttelt und können kaum sehen, wo wir am Ende der Geraden bremsen müssen.»

Die Hoppel-Autos belasten aber nicht nur die Piloten von Mercedes. «Die Fahrer haben die Köpfe zusammengesteckt und bis auf einen haben alle gesagt, dass es ein Problem ist», berichtet der Mercedes-Boss. Nur Veteran Fernando Alonso stört sich demnach nicht allzu sehr ab dem heftigen Rütteln.

«Ich brauche heute Abend jemanden, der mich massiert. Mein Rücken tut echt weh», sagt etwa auch Alpha-Tauri-Pilot Pierre Gasly nach seinem Ritt durch Baku. McLaren-Fahrer Daniel Ricciardo warnt: «Wir müssen das wirklich angehen, dieses Problem, denn es ist wirklich schmerzhaft.» Und Ferrari-Pilot Carlos Sainz sorgt sich um seine Gesundheit. «Wir sollten darüber nachdenken, welchen Preis ein Fahrer in seiner Karriere bezahlen muss.»

«Eine Frage der Zeit bis zu einem schweren Zwischenfall»

Die hoppelnden Boliden bringen zusätzliche Sicherheitsrisiken mit sich. Mehrere Piloten haben Mühe, mit ihren Autos auf den unebenen Strecken auf einer geraden Linie zu bleiben. «So oft wäre ich beinah in die Mauer gefahren», gesteht kein Geringerer als Lewis Hamilton. Und Georg Russell macht als Sprecher der Fahrergewerkschaft klar: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir einen schweren Zwischenfall sehen werden.»

Das sehen aber nicht alle Beteiligten so dramatisch. «Natürlich ist es eine Herausforderung für die Fahrer. Aber ich denke, die Autos sind immer noch ziemlich bequem zu fahren», findet Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Die Hoppel-Debatte wütet schon seit den ersten Testfahrten vor dem Saisonstart. Offenbar konnten sich die Teams im Vorjahr nicht auf Gegenmassnahmen wie ein Mindestmass an Bodenfreiheit einigen. Um keine Leistung einzubüssen, legen die Rennstelle ihre Autos deshalb nach wie vor möglichst tief. Sorgen nun die Fahrer selbst für eine Kehrtwende?

Ferrari beschäftigen andere Probleme

Immerhin können die Ferrari-Piloten ihre Rücken am Sonntag schonen. Allerdings unfreiwillig. Beide Autos scheiden mit technischen Problemen vorzeitig aus. Carlos Sainz werden Hydraulikprobleme zum Verhängnis, Charles Leclerc wird von einem Motorschaden jäh gestoppt. Ein Profiteur davon ist Mercedes-Fahrer Russell, der sich dadurch als Dritter noch aufs Podest stiehlt und im Anschluss stichelt: «Letztlich geht es in diesem Sport oft nicht darum, das schnellere, sondern das standfestere Auto zu haben.»

Dem ist man sich auch bei Ferrari bewusst. «Natürlich macht uns das Sorgen», räumt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ein. «Wir haben im Winter einiges gepusht, um das Auto zu verbessern. Jetzt zeigt uns das, dass wir immer noch keine hundertprozentige Zuverlässigkeit haben.» Schliesslich sei die Zuverlässigkeit im Kampf um den WM-Titel der Schlüsselfaktor. «Man muss Geduld bewahren, dann werden wir Lösungen finden», kündigt Binotto an.

Viel Zeit bleibt aber insbesondere Charles Leclerc nicht mehr. «Wir müssen uns das genau anschauen, damit das nicht wieder vorkommt. Ich finde jetzt nicht die richtigen Worte, um das zu beschreiben. Ich habe nicht das ganze Bild, um alles zu verstehen, aber es schmerzt», sagt Leclerc nach dem Rennen niedergeschlagen. Viermal kann der Monegasse zuletzt von der Pole-Position starten, nie reicht das zum Sieg. In den vier GPs ergattert Leclerc trotz optimaler Startposition gar weniger Punkte als Konkurrent Verstappen. Definitiv keine guten Vorzeichen im Kampf um den WM-Titel.