Heim-GP in Monaco Leclercs unheimliche Serie an Zwischenfällen

ber, sda

23.5.2024 - 05:00

Der Monegasse Charles Leclerc hat nicht die besten Erinnerungen an den Heim-GP.
Der Monegasse Charles Leclerc hat nicht die besten Erinnerungen an den Heim-GP.
Keystone

Charles Leclerc ist für sein Heimrennen, den GP von Monaco, trotz bitteren Erfahrungen in den letzten Jahren guten Mutes. Die forsche Strategie von Ferraris Teamchef Frédéric Vasseur macht Hoffnung.

23.5.2024 - 05:00

Er mag die Strecke. Logisch, ist seine Vorfreude gross auf ein Formel-1-Rennen direkt vor der eigenen Haustüre, auf den Strassen in Monte-Carlo, die er als Schüler unzählige Male im Bus oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, von der er jeden Quadratmeter kennt.

Er mag die Strecke immer noch, obwohl sie ihm ausser Pleiten, Pech und Pannen noch nicht allzu viel gebracht, sie ihm bisher immer die kalte Schulter gezeigt hat. Wie all seine Konkurrenten sieht Leclerc das Rasen im Fürstentum als willkommene Herausforderung. Ihm taugt diese Präzisionsarbeit im Millimeterbereich entlang der bedrohlich nahen Leitplanken. Er mag dieses Unikum von Rundkurs, das an Fahrkunst und Konzentration höchste Anforderungen stellt, das so gar nicht mehr in die moderne Welt der Formel 1 passt.

Kein Rennen ohne Zwischenfall

Leclerc mag nicht hadern über Vergangenes, obwohl es ihn mehrfach der Verzweiflung nahe gebracht hat. Es ist so viel vorgefallen, dass es schwierig ist, über all die bitteren Momente die Übersicht zu wahren. Im umfangreichen Protokoll ist zu lesen, dass Leclerc bei keinem seiner bisherigen acht Auftritte als Rennfahrer im Fürstentum ohne Zwischenfall durchgekommen ist.

Trotz all der unsäglichen Missgeschicke waren von Leclerc nie Klagen zu hören. Sein Anstand liess keine unangemessenen Reaktionen zu. Für ihn, der schon viel Einschneidenderes erlebte, Zeiten, in denen es das Schicksal nicht gut meinte, haben schlimme Momente eine andere Dimension. Vor bald neun Jahren verlor er mit Jules Bianchi einen seiner besten Kumpel. Der Franzose erlag den schweren Kopfverletzungen, die er neun Monate zuvor im Grand Prix von Japan erlitten hatte. Zwei Jahre später verstarb sein Vater Hervé im Alter von erst 54 Jahren. Weitere zwei Jahre danach liess der junge Franzose Anthoine Hubert, auch er ein guter Freund, in einem Formel-2-Rennen in Francorchamps in Belgien sein Leben.

Die Erinnerung an die Tragödien holt Leclerc verständlicherweise immer wieder ein – gerade an Tagen wie diesen, an denen der Grand Prix von Monaco bevorsteht. Er versucht trotzdem, die Gegenwart ins Zentrum zu rücken. In seinem Beruf durchlebt er im Moment eine Phase, die am Beginn einer rosigen Zukunft für ihn und die Scuderia Ferrari stehen könnte.

Noch ist bei den Roten längst nicht alles im grünen Bereich. Doch die Richtung stimmt. Die Art, wie sie in Maranello zu Werke gehen, beeindruckt. Vorne weg geht mit Teamchef Frédéric Vasseur einer, der Konsequenz und Akribie vorlebt, der den Takt vorgibt, der seit seinem Amtsantritt im vorletzten Januar das grosse Ganze im Blickfeld hat. Vasseur hält sich dabei lieber im Hintergrund. Er schiebt sich in der Öffentlichkeit nicht gern in die erste Reihe. Er ist zwar um einen guten Spruch nie verlegen, die grossen Töne sind ihm jedoch fremd, weshalb er da und dort womöglich etwas unterschätzt wird.

Keine Rücksicht auf Freundschaft

In Vasseurs Kerngebiet ist nichts mit Zurückhaltung. Sein Ziel, die Squadra wieder zur Nummer 1 in der Formel 1 zu machen, verfolgt er mit aller Konsequenz. Sein persönliches Plansoll endet nicht mit Neuerungen am Auto. Er steht nicht nur im technischen, sondern auch im personellen Bereich für Umwälzungen. Er wirbelt das festgefahrene Gebilde bei seinem Arbeitgeber durcheinander – und versetzt die gesamte Formel 1 in Aufruhr. Es würde nicht überraschen, würde er auch noch Design-Guru Adrian Newey nach Italien locken.

Mit der Verpflichtung von Lewis Hamilton ist Vasseur ein erster aussergewöhnlicher Coup gelungen. Dass der siebenfache Weltmeister doch noch einmal ein Ferrari-Fahrer wird, haben sich die wenigsten vorstellen können. Neben dem Engländer hat sich Vasseur auch für die Neubesetzung von zwei Schlüsselpositionen im Kader beim Team Mercedes bedient – und damit erneut grosse Aufmerksamkeit erheischt. Pikant an diesen Transfers ist, dass Toto Wolff, der Teamchef bei den Silbernen, zu Vasseurs besten Freunden im Grand-Prix-Zirkus zählt. Hohe Ansprüche lassen keinen Platz für Rücksichtnahme und Kompromisse.

Der einstige Formel-1-Fahrer Jérôme D'Ambrosio aus Belgien wird Vasseurs Stellvertreter sein, der Franzose Loïc Serra sich um die Entwicklungsarbeiten am Chassis kümmern. Auch Leclerc hat Vasseurs Drang nach Optimierung zu spüren bekommen. Seit zwei Wochen steht ihm nicht mehr der Spanier Xavi Marcos, sondern der Italiener Bryan Bozzi als Renningenieur zur Seite. Leclerc hat den überraschenden Entscheid akzeptiert. Er vertraut Vasseur. Er weiss längst um seine Fähigkeiten, denn die Zusammenarbeit hat nicht erst mit dem Umzug des Franzosen nach Maranello begonnen.

In der einstigen GP3-Klasse ging Leclerc für das Team ART an den Start, das Vasseur vor fast zwanzig Jahren mit Nicolas Todt, dem Sohn von Jean Todt, dem früheren FIA-Präsidenten und einstigen Teamchef von Ferrari, gegründet hatte. Dazu absolvierte Leclerc sein «Lehrjahr» in der Formel 1 unter der Obhut Vasseurs im Zürcher Rennstall, der damals noch Alfa Romeo Sauber hiess.

Die gegenwärtigen Fortschritte geben Vasseur recht. Die Lücke zum Klassenprimus Red Bull und Max Verstappen ist deutlich geschrumpft. Leclerc mag auch deshalb die forsche Art seines Chefs.

Leclercs Pechsträhne im Detail

Charles Leclercs unheimliche Serie an Zwischenfällen in Monte-Carlo hatte schon in der Saison vor seiner Premiere als Formel-1-Fahrer eingesetzt. Vor sieben Jahren schied der Monegasse im Rahmen der Formel 2 zweimal aus; in der Hauptprüfung wegen eines Aufhängungsbruchs, in der Sprintprüfung nach einer Kollision. Zwölf Monate später versagten im Sauber die Bremsen. Leclerc raste mit hohem Tempo ins Heck des Toro Rosso, mit dem Neuseeländer Brandon Hartley am Steuer. Im folgenden Jahr, in seinem ersten bei der Scuderia Ferrari, bedeuteten ein Reifenschaden und ein defekter Unterboden das vorzeitige Ende, nachdem er mit dem Deutschen Nico Hülkenberg im Renault ins Gehege gekommen war.

In den beiden Jahren nach dem durch die Corona-Pandemie bedingten Ausfall des Grand Prix liess sich das Wochenende gut an. Leclerc stand beide Male auf der Pole-Position und hatte sich die perfekte Basis für den grossen Wurf geschaffen. Im ersten Rennen platzte der Traum schon vor dem Start. Das streikende Getriebe machte aus dem potenziellen Gewinner einen frustrierten Zuschauer. Im zweiten reichte es zu Platz 4. Das Auto lief klaglos, dafür verrichtete die Boxen-Crew ihren Dienst auf dilettantische Weise. Die mangelhafte Kommunikation führte dazu, dass Leclerc beim Zwischenhalt fürs Reifenwechseln hinter Teamkollege Carlos Sainz anstehen musste und entsprechend Zeit einbüsste.

Selbst die Teilnahme am Grand Prix Historique zwei Wochen zuvor, einem traditionsreichen Anlass mit Rennwagen aus früheren Zeiten, lief nicht ohne Zwischenfall ab. Leclerc schlug in einem Ferrari, den Mitte der Siebzigerjahre unter anderem der Österreicher Niki Lauda gefahren war, in den Leitplanken ein. In der vergangenen Saison schliesslich schaute für Leclerc im Grand Prix Rang 6 heraus. Wegen Behinderung von Lando Norris im McLaren im Qualifying wurde Leclerc mit der Rückversetzung um drei Plätze in der Startaufstellung bestraft. Er fuhr aus Position 6 los.

ber, sda