Ungeimpfte Snowboarderin Patrizia Kummer «Ich sehe die 21 Tage Olympia-Quarantäne als Abenteuer»

Von Marcel Allemann

22.1.2022

Patrizia Kummer hält sich in der Quarantäne unter anderem mit Hanteln fit.
Patrizia Kummer hält sich in der Quarantäne unter anderem mit Hanteln fit.
Bild: Swiss Ski

Sie will sich nicht impfen lassen. Nimmt dafür sogar eine dreiwöchige Quarantäne in Peking in Kauf, um an den Olympischen Spielen starten zu können. Aus dieser hat sich Snowboarderin Patrizia Kummer nun in einer Online-Medienkonferenz erklärt.

Von Marcel Allemann

22.1.2022

Sie ist die Parallel-Riesenslalom-Olympiasiegerin von 2014 und damit in der Schweiz eine bekannte Persönlichkeit des Sports. Doch die Schlagzeilen, die sie derzeit generiert, finden weit über die Landesgrenzen hinaus Beachtung. Aus persönlichen Gründen hat sich Patrizia Kummer entschieden, sich nicht impfen zu lassen. Da sie aber auch nicht auf die am 4. Februar beginnenden Olympischen Spiele in Peking verzichten möchte, hat sie sich am vergangenen Donnerstag vor Ort in die in solchen Fällen vorgeschriebene 21-tägige Quarantäne begeben.



Das Interesse an diesem aussergewöhnlichen Fall und ihrer Person ist gross. Schliesslich ist sie die einzige, zumindest derzeit bekannte olympische Athletin, die dieses Prozedere auf sich nimmt. Deshalb gibt die 34-jährige Oberwalliserin am Donnerstag aus ihrem Quarantäne-Zimmer in Peking eine internationale Online-Medienkonferenz. Zahlreiche Medien aus dem In- und Ausland haben sich zugeschaltet.

«Ich finde es interessant, dass alle darauf anspringen, denn ich finde das eher langweilig», sagt sie zum ganzen Hype. Und stellt auch klar: «Ich gebe nun diese eine Medienkonferenz und dann ist fertig. Denn es ist für mich persönlich wichtig, dass ich nun zur Ruhe kommen kann.»

«Meine Gründe gegen die Impfung möchte ich unter Verschluss halten»

epa07270023 Patrizia Kummer of Switzerland smiles on in the finish area after the women's finals for the Snowboard World Cup in Bad Gastein, Austria, 08 January 2019. EPA/ANDREAS SCHAAD

Patrizia Kummer

über das kontroverse Thema Impfung

Kummer rollt ihren ganzen Fall nochmals auf. «Im Frühjahr habe ich mich mit der Entscheidung auseinandergesetzt und letztlich entschieden, mich nicht impfen zu lassen», sagt sie. Es seien für sie persönliche Gründe, «und diese möchte ich unter Verschluss halten. Es gibt mehrere Gründe, die für eine Impfung sprechen und solche, die dagegen sprechen.» Sie sei aber nicht generell eine Gegnerin von Impfungen, «als Kind wurde ich auch immer wieder geimpft und ich habe auch schon Grippeimpfungen gemacht.»

Das Corona-Virus nimmt sie gleichwohl ernst. Sehr ernst. «Ich halte mich an alle Regeln, trage FFP-2-Masken, desinfiziere mir ständig die Hände.» Und für sie ist auch klar, dass die Olympischen Spiele aktuell nur in Form einer Bubble, wie das nun in Peking geschieht, abgehalten werden können: «Das ist die einzige Möglichkeit, wir leben in einer Pandemie.»

Kummer hat sich bis jetzt auch nie selbst mit Corona infiziert. Und sehr schwierig ist für sie das Thema trotzdem geworden. Spätestens im Spätherbst, «als es dann hiess, dass die Olympischen Spiele in Peking für Ungeimpfte nur mit einer 21-tägigen Quarantäne möglich seien. Und mir beim Weltcup in Italien am Abend vor dem Rennen gesagt wurde, dass ich als Ungeimpfte nicht starten kann».

«Meine Entscheidungsgrundlage hat sich nicht geändert, verändert hat sich aber die Welt»

epa07270023 Patrizia Kummer of Switzerland smiles on in the finish area after the women's finals for the Snowboard World Cup in Bad Gastein, Austria, 08 January 2019. EPA/ANDREAS SCHAAD

Patrizia Kummer

Olympiasiegerin 2014 in Sotschi

An ihrer Haltung hat sich dadurch jedoch nichts verändert. Diese Probleme durch zwei Piks zu lösen, war sie weiterhin nicht bereit. «Die Entscheidungsgrundlage, weshalb ich diese Impfung nicht in meinem Körper möchte, hat sich nicht geändert, verändert hatte sich aber die Welt. Trotzdem habe ich mir gesagt, dass ich zu mir stehe, obwohl ich wusste, dass es nun sehr schwierig wird.»

Sie habe ihre Chancen, effektiv an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können zwischenzeitlich noch auf zehn Prozent geschätzt. Zwar hatte sie das eingeforderte Ergebnis für die Selektion geliefert, aber sie musste auch damit rechnen, dass sie noch von einer Teamkollegin abgefangen wird und ihren Startplatz verlieren wird, wenn sie sich in Peking in die geforderte Quarantäne begibt, weil sie dadurch den letzten zur Selektion zählenden Weltcup verpassen wird. Mit dem Weltcup in Italien macht das dann schon zwei Rennen, in denen sie tatenlos zuschauen musste.

Trotzdem entschied sie sich das Risiko einzugehen, nach Peking zu reisen und diese Quarantäne auf ihre eigenen Kosten anzutreten. Mit der Gefahr,  danach wieder nach Hause geschickt zu werden, weil sie eine Teamkollegin überflügelt. «Klar habe ich mich gefragt, ob sich das wirklich lohnt. Aber ich habe mich für ein Ja entschieden, denn ich hatte mich ja für Snowboard entschieden und auch dafür, noch mindestens diese eine Saison zu machen.»

«Jeder muss sich selber informieren und für sich selber entscheiden»

epa07270023 Patrizia Kummer of Switzerland smiles on in the finish area after the women's finals for the Snowboard World Cup in Bad Gastein, Austria, 08 January 2019. EPA/ANDREAS SCHAAD

Patrizia Kummer

WM-Silbermedaillengewinnerin 2013 und 2017

Letztlich hat sich das Risiko für Patrizia Kummer ausbezahlt. Sie wurde von keiner Teamkollegin überholt und am Dienstag von Swiss Olympic offiziell für die Winterspiele selektioniert: «Es ist für mich gut ausgegangen.» Und sie bedankt sich bei Swiss Ski und Swiss Olympic, die sie auf ihrem Weg unterstützt hätten. «Mir ist es egal, ob jemand geimpft ist oder nicht. Und so wurde auch ich behandelt. Was nicht selbstverständlich ist, man weiss nie, wie die Leute auf eine ungeimpfte Person reagieren.»

In der Tat. Wegen des Impfstatus gab es hierzulande viele Streitigkeiten in Familien und auch Freundschaften sind zerbrochen. Deshalb setzt Kummer einen Appell, «respektvoll miteinander umzugehen». Auf grosse Diskussionen lasse sie sich gar nicht erst ein, «auch nicht bei uns im Snowboard-Team». Dort würden alle akzeptieren, dass sie nicht geimpft sei. «Doch wenn sie das nicht würden, dann wäre mir das auch egal, denn es ist mein Entscheid und mein Körper.»

Kummer erzählt auch, wie ihre Mutter sie gefragt habe, ob sie und ihr Vater sich impfen lassen sollen oder nicht. Doch sie habe ihr gesagt, dass sie diese Entscheidung nicht auf sie abwälzen könne. «Das ist nicht meine Entscheidung. Jeder muss sich selber informieren und für sich selbst entscheiden.»

Das Quarantäne-Zimmer von Patrizia Kummer im nördlichen Teil von Peking.
Das Quarantäne-Zimmer von Patrizia Kummer im nördlichen Teil von Peking.
Bild: Swiss Ski

Seit letztem Donnerstag ist Kummer nun in Peking. Vor ihrem Abflug musste sie während zwei Wochen einen vorgeschriebenen Gesundheitscheck machen, dazu brauchte sie unmittelbar davor zwei PCR-Tests und einen Bluttest, was vom Timing her «eine gute Organisation» gebraucht habe. Auch während des Flugs sei sie geweckt worden, um Fieber zu messen und zweimal musste sie die Maske wechseln. «Man sieht, wie sehr sich die Chinesen Mühe geben, damit das Virus nicht in ihr Land reinkommt.»

«Jemand klopft an die Türe, dann wartest du zehn Sekunden»

epa07270023 Patrizia Kummer of Switzerland smiles on in the finish area after the women's finals for the Snowboard World Cup in Bad Gastein, Austria, 08 January 2019. EPA/ANDREAS SCHAAD

Patrizia Kummer

über ihren Alltag im Quarantäne-Hotel

Nach der Ankunft ging es dann in das Quarantäne-Hotel, ein Holiday-Inn Express, rund eine Autostunde vom Flughafen entfernt, im nördlichen Teil von Peking. «Das Zimmer ist recht gross und sauber. Ich habe etwas umgestellt, damit ich wie zwei verschiedene Bereiche habe. Ausserdem habe ich ein Fahrrad und Kurzhanteln bekommen, andere Trainingssachen habe ich selbst mitgenommen.»

Beim Essen werde auf ihre Wünsche eingegangen, was in ihrem Fall besonders wichtig ist, da sie eine Eier-Allergie hat und dieses werde jeweils dreimal täglich ausgeliefert: «Jemand klopft an die Türe, dann wartest du zehn Sekunden und nimmst es rein und rufst noch danke hinterher.»

Patrizia Kummer hat die Hanteln aufs Zimmer geliefert bekommen.
Patrizia Kummer hat die Hanteln aufs Zimmer geliefert bekommen.
Bild: Swiss Ski

Kommuniziert werde über WeChat. «Alle sind sehr nett und hilfsbereit, obwohl ich nie sehe, mit wem ich es da zu tun habe, weil sie solche Mondanzüge anhaben. Zweimal täglich müsse sie zudem Fieber messen. Vormittags und nachmittags bestreite sie dann verschiedene Trainingseinheiten. Sie meditiere auch und mache Visualisierungstraining, «damit ich vom Gefühl her auf dem Snowboard bleibe».

Zuletzt habe sie ausserdem zwei Tage Online-Schule für ihre Weiterbildung gehabt, sie habe dazu auch Bürosachen erledigt, an der Webseite des Cafés, das sie im Wallis betreibt, gearbeitet und organisatorische Dinge für das Bauernhaus, das sie gerade umbaut, erledigt. Und ab und an würde sie auch einen Film schauen, «Netflix funktioniert hier super.» Dass mit Novak Djokovic in den letzten Tagen ein anderer ungeimpfter Sportler heftige Schlagzeilen produzierte, hat Kummer zwar mitbekommen, «aber nur oberflächlich mitverfolgt».

«Eine meiner grössten Stärken wird sein, dass ich zu mir gestanden bin»

epa07270023 Patrizia Kummer of Switzerland smiles on in the finish area after the women's finals for the Snowboard World Cup in Bad Gastein, Austria, 08 January 2019. EPA/ANDREAS SCHAAD

Patrizia Kummer

Snowboarderin

Nein, langweilig sei ihr in der Quarantäne bis jetzt nicht geworden. Im Gegenteil. Sie müsse darauf schauen, dass sie noch mehr zur Ruhe komme, findet sie. Sie sei eben auch ein Typ, der problemlos und auch gerne allein sein könne. «Ich bin auch sehr minimalistisch veranlagt, brauche nicht viel, um glücklich zu sein und hier habe ich alles.» Kummer sagt auch: «Ich sehe diese 21 Tage in Olympia-Quarantäne als Abenteuer. Andere Leute bezahlen viel Geld, damit sie drei Wochen in einem Tempel in Stille verbringen können.» 

Nach ihrer Quarantäne wird Kummer noch während vier Tagen auf Schnee trainieren können, ehe ihr Wettkampf ansteht. Dass ihr dieses im Vergleich zur Konkurrenz während dreier Wochen fehlt, sieht sie nicht zwingend als Nachteil an: «Ich glaube daran, dass ich erfüllen kann. Ich erachte meine Situation auch nicht als unfair, ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Ich habe die gleichen Chancen, wie die anderen auch. Snowboard hat viel mit Selbstvertrauen zu tun, man kann auch viel mit Mentaltraining bewirken.»

Und bei einem ist sich Kummer ganz sicher, wenn sie an ihren Olympia-Start denkt: «Eine meiner grössten Stärken wird sein, dass ich in dieser ganzen Zeit zu mir gestanden bin.»