Im Alter von 25 Jahren hat Anna Veith alles gewonnen, was es als Skirennfahrerin zu gewinnen gibt. Dann verkommt ihre Karriere zu einem Kampf, den die Österreicherin annimmt – und jetzt als Siegerin beendet.
Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Gesamtweltcup-Siegerin 2014 und 2015 – bereits mit zarten 26 Jahren gehört Anna Veith zu den erfolgreichsten Athletinnen des Skirennsports überhaupt. Sie ist drauf und dran, das Äquivalent zu Überflieger und Landsmann Marcel Hirscher zu werden, der den Gesamtweltcup achtmal gewinnen kann. Rückblickend ist Veith zu diesem Zeitpunkt aber auf dem sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere angelangt – auch wenn das damals niemand für möglich hält.
Doch die bis dahin so reibungslose Laufbahn der Österreicherin nimmt anschliessend eine Wendung – vorderhand vor allem neben der Skipiste. Wegen Meinungsverschiedenheiten legt sich Veith mit dem österreichischen Skiverband an und weigert sich, die persönliche Vermarktung dem ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel zu überlassen. Der Streit eskaliert, als sich die populäre Sportlerin Mercedes als Sponsor angelt, obwohl Audi beim ÖSV das Recht auf Branchenexklusivität hat.
Trotz harscher Kritik und im Kreuzfeuer der Medien lässt sich Veith nicht unterkriegen. In einem privaten Schreiben an den Verband, das an die Öffentlichkeit gelangt, droht Veith gar mit ihrem Rücktritt. Schröcksnadel wirft sie ein überholtes Rollenverständnis vor: «Sollte ich akzeptieren, dass ich als Frau immer zurückstecken muss?»
Die Verletzungshexe schlägt zu
Erst nach mehreren Anläufen gelingt es den Parteien, die Wogen zu glätten – Veith erhält den verlangten Privatbetreuer sowie eine eigene Medienbetreuerin. Nach erzielter Einigung sagt Schröcksnadel, die Vorwürfe des österreichischen Aushängeschilds hätten ihn sehr getroffen, sodass er gar im Krankenhaus gelandet sei.
Dort findet sich Veith wenig später selbst wieder. Drei Tage vor dem Saisonauftakt, im Oktober 2015, stürzt sie im Training schwer und erleidet einen «Totalschaden» im rechten Knie. Kreuzbandriss, Seitenbandriss, Patellasehnenriss – die Diagnose ist niederschmetternd. Der Weltcup-Winter ist gelaufen, bevor er begonnen hat.
Erst lange und mühsame 14 Monate später kehrt die gebürtige Anna Fenninger in den Weltcup zurück – nach der Heirat mit dem Snowboarder Manuel Veith unter neuem Namen. Das soll ihr aber kein Glück bringen, der nächste Rückschlag folgt unmittelbar. Nach zwei Monaten muss sie auch die Saison 2016/17 vorzeitig abbrechen, aufgrund einer chronisch entzündeten Patellasehne im bisher gesunden Knie ist die nächste Operation unumgänglich. Doch Veith sollte sich noch einmal zurückmelden.
Die letzten Meilensteine
1001 Tage nach ihrem letzten Triumph gewinnt sie im Dezember 2017 den Super-G in Val d'Isère – es ist zugleich der letzte von insgesamt 15 Weltcup-Siegen von Anna Veith. Und an den Olympischen Spielen in Pyeongchang spricht sie in einem TV-Interview nach dem Super-G bereits von ihrem grössten Sieg, als sie von der tschechischen Aussenseiterin Ester Ledecká um eine einzige Hundertstelsekunde noch auf Platz zwei verdrängt wird.
Das tut Veiths Genugtunng aber keinen Abbruch. «Der emotionalste Moment war zweifelsohne die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2018», blickt sie am Samstag im «ORF» zurück. «Diese Medaille war der Lohn für die ganze harte Arbeit. Das war die Bestätigung, dass ich das Richtige gemacht habe. Ab diesem Zeitpunkt war die Verletzung für mich abgehakt.» Das Leiden hat sich definitiv gelohnt.
Die Verletzung zu viel
Knapp ein Jahr darauf – im Januar 2019 – schlägt die Verletzungshexe aber ein weiteres Mal zu. Ohne zu stürzen, reisst sich Veith wieder das Kreuzband im rechten Knie. Es ist die berüchtigte Verletzung zu viel.
Danach kann die heute 30-Jährige nicht mehr mit den Schnellsten mithalten. «Im letzten Winter habe ich alles darangesetzt, wieder zurückzukommen und Vertrauen zu finden, aber es ist mir einfach nicht mehr gelungen, dahin zu kommen, wo ich hinwollte», erklärt sie.
Deshalb sei jetzt der richtige Moment für den Rücktritt gekommen. «Ich fühle mich befreit, mir ist schon eine gewisse Last von den Schultern gefallen», gesteht Veith. Dennoch werde sie den Alltag als Skirennfahrerin natürlich vermissen: «Nie habe ich etwas anderes gemacht. Nie habe ich etwas anderes so sehr geliebt. Der Geruch von frischem Schnee. Die frühen Morgenstunden am Gletscher. Das Team. Das alles wird mir schon fehlen.» Vor allem aber wird die Ausnahmeathletin dem Skisport fehlen.