Vorne eine Bank ohne Olympiagold, weit weg vier Verhinderte, hinten drei Schnupperlehrlinge: Das Schweizer Speedteam im Check.
Beat Feuz: Die Bank ohne Olympiagold
Vom Cheftrainer Tom Stauffer erhält Beat Feuz das Prädikat «Bank». Auf den 34-Jährigen ist in der Abfahrt in der Tat fast ausnahmslos Verlass. Aber eine Goldmedaille an Olympischen Spielen fehlt ihm nach Bronze (Abfahrt) und Silber (Super-G) 2018 noch. Klappt es im Februar in Peking? Feuz versteift sich nicht darauf, im Gegenteil. Sein Verhältnis zu den Winterspielen ist aufgrund der dürftigen Ambiance an den Austragungsorten seiner zwei bisherigen Teilnahmen gespalten. Nach Sotschi und Pyeongchang kommt nun Peking. Die Vorfreude hält sich in Grenzen. «Ich muss zugeben: Die Olympischen Spiele beschäftigen mich im Moment kaum», sagt er.
Zweitrangig ist bei Feuz auch der Super-G. Nach wie vor sucht der Emmentaler nach der richtigen Materialabstimmung für stärker drehende Kurse und sind seine Schwankungen grösser als in der Abfahrt. Zudem gilt es, die Belastung für das elfmal operierte Knie zu dosieren. Zwei Super-G vor einer Abfahrt wie in der kommenden Woche in Beaver Creek sind Gift für das Knie, sechs Speedrennen in zehn Tagen wie jetzt in Nordamerika ein Grund zur Vorsicht.
Marco Odermatt: Der Reissbrett-Athlet
Die Karriere des fünffachen Junioren-Weltmeisters von 2018 verläuft bislang wie auf dem Reissbrett entworfen. Mit 24 Jahren fühlt sich der Nidwaldner im aktuellen Speed-Rumpfteam «schon fast als Routinier» und schielt er bereits auf den Gesamtweltcup. Damit er es mit den anderen Allroundern Aleksander Kilde und Alexis Pinturault aufnehmen kann, will er in der Abfahrt den erforderlichen nächsten Schritt machen. Oder wie er es ausdrückt: «Daran anknüpfen, wo ich aufgehört habe.»
Nichts deutet darauf hin, dass der WM-Vierte von 2021 in der Abfahrt das nicht schafft. «Er machte im Sommer noch einmal einen Schritt in allen Belangen, fuhr im Training in Copper Mountain stark», sagt Stauffer. Und das, obwohl er ab September fast nur noch Riesenslalom trainiert hat.
Fr 26.11. 19:50 - 21:35 ∙ SRF zwei ∙ 105 Min
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Niels Hintermann: Abschalten, neu angreifen
Der Zürcher Unterländer, 2017 Sensationssieger in der Kombination von Wengen, rappelt sich nach einer enttäuschenden vergangenen Saison wieder auf. Der 26-jährige Hintermann stand zu Beginn des letzten Winters kurz vor dem grossen Durchbruch, ehe ihn Fahrfehler wie in Val d'Isère auf dem Weg zu einem Podestplatz und ein Sturz in Bormio, der ihn zu einer Zwangspause zur Unzeit zwang, aus der Bahn warfen.
Jetzt nimmt er also den nächsten Anlauf, mit freiem Kopf dank Golf und Fernstudium zum Betriebsökonom. «Dieser Ausgleich tut mir sehr, sehr gut. Er hilft mir abzuschalten», sagt Hintermann. Der zehnte Platz im zweiten Abfahrtstraining in Lake Louise gibt ihm Zuversicht.
Stefan Rogentin: An der Schwelle
Stefan Rogentin machte nie einen grossen Schritt, aber konstant kleine. Der nächste kleine Schritt wäre nach den Plätzen 13 (Abfahrt) und 17 (Super-G) im März in Saalbach-Hinterglemm eine Top-10-Klassierung. 2021/22 könnte aber auch noch mehr drin liegen. Fünf Jahre nach seinem Weltcup-Debüt überzeugte der 27-jährige Bündner in der Vorbereitung. In den Abfahrtstrainings in Lake Louise bestätigte er die Eindrücke mit den Plätzen 6 und 12. Viel einbilden will sich Rogentin darauf indes nicht: «Wir wissen alle, dass die Besten in den Trainings gerne abbremsen.»
Und doch: In Kanada ist Rogentin im Schweizer Rumpfteam neben Feuz, Odermatt und Hintermann als vierter Athlet für die Abfahrten gesetzt. Er gehört damit zumindest beim Saisonauftakt zur ersten Garde.
Die vier Verhinderten
Zwei sind verletzt, zwei sind anderweitig verhindert: Urs Kryenbühl und Ralph Weber können in Kanada nicht antreten, weil sie auf die Impfung (bislang) verzichtet haben. Die beiden hielten sich im Hinblick auf die Speedrennen in Beaver Creek zuerst in Kalifornien fit und trainierten dann in Copper Mountain.
Carlo Janka und Mauro Caviezel fehlen auch nächste Woche in den USA – Janka wegen erneuten Rückenproblemen, Caviezel weil er sich immer noch nicht von seinem schlimmen Trainingssturz im Januar und der schweren Gehirnerschütterung erholt hat. Dem 33-jährigen Super-G-Disziplinensieger von 2019/20 machen Sehstörungen in der Hockeposition zu schaffen. Zeitpunkt der Rückkehr: unbekannt.
Die zweite Garde
Durch die Abwesenheit des bewährten Quartetts rücken Gilles Roulin, Nils Mani und Lars Rösti in Lake Louise etwas stärker ins Blickfeld, wobei sich in den Trainings keiner richtig aufdrängte. Der Jurastudent Roulin, dessen Resultate in den letzten Jahren etwas stagniert sind, zeigte im Training gute Ansätze. Dass der Zürcher wieder verstärkt Speed statt Riesenslalom trainiert, könnte sich auszahlen.
Mani ist neun Jahre nach seinem Weltcup-Debüt gefordert. Der 29-jährige Berner blieb endlich über eine längere Zeitspanne ohne körperliche Beschwerden und brächte das Rüstzeug für gute Resultate mit. «Er ist ein Rennhund und wäre fähig. Er muss jetzt etwas zeigen», sagt Stauffer.
Der 23-jährige Lars Rösti ist zum zweiten Mal an den Nordamerika-Rennen dabei. Noch verzeichnet er grössere Schwankungen. In den Trainings für die Abfahrten vom Freitag und Samstag lief es ihm nicht wunschgemäss. Als Junioren waren sowohl Mani (2013) als auch Rösti (2019) Abfahrtsweltmeister.
Die Schnupperlehrlinge
Für die Perspektivfahrer öffnet sich durch die Absenzen eine Tür. Yannick Chabloz, Alexis Monney und Arnaud Boisset dürfen in Lake Louise Weltcup-Luft schnuppern, wenn auch nicht alle in den Rennen.
Den 21-jährigen Monney, 2020 Junioren-Weltmeister in der Abfahrt, preist Tom Stauffer als «super Skifahrer und guter Techniker mit gutem Gefühl». Es würde nicht überraschen, sollte der Waadtländer einst auch im Riesenslalom im Weltcup Fuss fassen.
Chabloz klingt nach Romandie, doch der 22-Jährige ist Zentralschweizer. Seine Eltern zogen kurz nach seiner Geburt in den Kanton Nidwalden. «Er ist quasi mein Nachbar. Wir kennen uns gut», sagt Marco Odermatt.
Arnaud Boisset, der vergangene Saison schon in den Trainings in Garmisch und Saalbach dabei war, ist mit 23 Jahren der älteste der drei Schnupperlehrlinge. «Er ist ein Draufgänger, braucht aber noch Erfahrung», sagt Stauffer.
Der Quer-Einsteiger
Justin Murisier ist fest entschlossen, sein Portfolio um die Abfahrt zu erweitern. Dass dies erst jetzt der Fall ist, ist der Verletzungsgeschichte des Riesenslalom-Spezialisten geschuldet. Diese verzögerte den Prozess wiederholt.
«Wenn, dann» lautet sein Motto. «Eine Abfahrt pro Winter macht keinen Sinn», sagt er. Und das sagt auch Stauffer. Murisier will die Abfahrten nur dann auslassen, wenn es zu Engpässen kommt wie bei jener in Val Gardena mit dem Riesenslalom in Alta Badia. Die sehr hohe Startnummer, mit der er das Projekt angehen muss, ist erschwerend – «aber weniger erschwerend als in den technischen Disziplinen».