Vor einem Jahr kommt der Vater von Mikaela Shiffrin völlig unerwartet ums Leben. Der Unfalltod wirft die amerikanische Seriensiegerin abrupt aus der Bahn. Jetzt ist der Erfolgshunger wieder geweckt.
Die Nachricht vom tragischen Unfall von Jeff Shiffrin auf dem Dach des Familienhauses kam aus dem Nichts und stellte alles auf den Kopf. Auf einmal waren Siege und Titel zweitrangig im Leben von Mikaela Shiffrin. Die Amerikanerin zog sich aus dem Weltcup zurück – der Gewinn des Gesamtweltcups, der vierte in Folge, der ihr kaum zu nehmen gewesen wäre, zählte nicht mehr.
Nach einer Weile meldete sich Shiffrin mit einem emotionalen Statement auf ihren sozialen Netzwerken. «Mein Dad war mein Fels in der Brandung», schrieb sie in einem längeren Brief. Die Seriensiegerin wurde zerbrechlich. Die Gedanken an den Vater holten sie in den folgenden Monaten immer wieder ein. Einmal gestand sie, an Rücktritt gedacht zu haben.
Zum ersten Mal hinterfragte Shiffrin Dinge wie das viele Reisen, die vielen Monate weg von den Angehörigen. «Ich überlegte mir: Ist es das wirklich wert? Ich liebe das Skifahren, aber der Preis dafür ist hoch.»
Mehr als Pathos
Gewiss, amerikanische Sportler neigen zum Pathos. Doch der Tod warf sie wirklich aus der Bahn. Die Corona-Pandemie machte das Verarbeiten nicht leichter. Shiffrin, die sonst von Training zu Training, von Wettkampf zu Wettkampf und von Termin zu Termin eilte, hatte ungewohnt viel Zeit. Ihr Blickwinkel veränderte sich. Sie spielte Gitarre und sang Lieder, befasste sich mit gesellschaftlichen Themen, die in ihrem Leben sonst keinen Platz hatten.
Bei der Rückkehr in den Weltcup zehn Monate nach dem Unglück kämpfte sie in Interviews noch mit den Emotionen. In der Vorbereitungen hatte sie einen Trainingsrückstand in Kauf genommen. Im Slalom, den sie über Jahre fast nach Belieben dominiert hatte, reihte nun Petra Vlhova Siege aneinander. In den Speed-Disziplinen trat sie im Weltcup in diesem Winter noch nicht an.
Für Shiffrin war es der erste sportliche Knick. Über Jahre war die Karriere der Frau aus dem US-Bundesstaat Colorado stromlinienförmig verlaufen. Die 25-Jährige kannte kaum Rückschläge, seit sie vor elf Jahren im Weltcup debütierte.
In ihrem vierten Rennen auf höchster Stufe fuhr Shiffrin zum ersten Mal in die Top 10. Im gleichen Monat stieg sie auf das Podest, ein Jahr später feierte sie im Slalom in Are den ersten Sieg. Bis zum Tod von Vater Jeff errang sie 66 Weltcupsiege, als unter 25-Jährige. Nur Ingemar Stenmark (86) und Lindsey Vonn (82) waren über die ganze Karriere erfolgreicher.
Deutliches Signal im Super-G
An der WM in Cortina sind die Tränen getrocknet. Shiffrin ist bereit, wieder anzugreifen. Mitte Dezember kehrte sie im Riesenslalom von Courchevel zum Siegen zurückgekehrt, im Januar war sie in Flachau auch im Slalom wieder die Schnellste.
Vor elf Tagen und nach intensiven Trainingsblöcken im Januar überraschte sie mit der Mitteilung, sie wolle an der WM in vier Disziplinen antreten: Slalom, Riesenslalom, Kombination und Super-G. Und bei Mikaela Shiffrin weiss man: Sie tritt nur dann an, wenn sie sich den Sieg zutraut. Zutrauen heisst, dass die Chance nicht bloss klein ist.
Den Super-G am Donnerstag, den ersten nach mehr als einem Jahr, hätte Shiffrin wohl gewonnen, wäre ihr nicht ein zeitraubender Fehler unterlaufen. So war es Bronze, verbunden mit dem Signal an die Konkurrenz: Mit Mikaela Shiffrin ist an der dieser WM schwer zu rechnen.
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