Interview Cheftrainer Tom Stauffer: «Nun sind wir die Gejagten»

SDA

26.6.2020 - 16:54

Cheftrainer Thomas Stauffer führte das Schweizer Männer-Team von der Nummer 6 zur Nummer 1.
Cheftrainer Thomas Stauffer führte das Schweizer Männer-Team von der Nummer 6 zur Nummer 1.
Source: Keystone

Cheftrainer Thomas Stauffer spricht im Interview über das abrupte Saisonende, den Weg des Männerteams seit 2014 von der Nummer 6 zur Nummer 1 sowie zur speziellen Vorbereitung auf den nächsten Winter.

Thomas Stauffer, auch bei den Alpinen erfolgte das Saisonende wegen des grassierenden Coronavirus sehr abrupt. Was waren Ihre Gedanken in den Tagen und Wochen zuvor?

Diese gehörten vor allem der Gesundheit der Athleten und der weiteren Teammitglieder. Wir mussten uns überlegen, was wir machen. Dabei lehnten wir uns an die Entscheide der FIS an. Bis diese kamen, dauerte es zwar manchmal etwas lange. Am Ende stellte sich dann aber heraus, dass die Entscheide richtig waren.

Alle Rennen sind abgesagt, die Skigebiete haben geschlossen und somit sind auch keine Material-Tests möglich. Was machen die Athleten in diesen Tagen und Wochen?

Der Trainingsbetrieb von Seiten Swiss-Ski ist am Freitag vergangener Woche komplett eingestellt worden. Es geht darum, dass niemand gefährdet wird. Die Athleten befinden sich zu Hause, wer will und kann, macht vielleicht Konditionstraining. Aber es ist ja erst eine Woche her, seit der für viele unserer Fahrer strenge Winter zu Ende ging. Darum machen viele nun auch Pause. Danach müssen wir dann schauen, wer bei sich gut Kondition trainieren kann. Für die anderen müssen wir eine Lösung suchen, so dass es auch bei denen passt.



Kommen wir zum Sportlichen: Sie müssen als Cheftrainer der Männer mit dem Weltcup-Winter 2019/20 enorm zufrieden sein. Ihr Team war erstmals in der jüngeren Vergangenheit die Nummer eins.

Es ist sicher schön, dass wir nun so gut dastehen. Wir sind als Nation dort, wo wir hinwollten. Es ist dank der Summe der Athleten, die sich individuell verbessert haben und oft ihre Bestleistung erbringen konnten.

Gibt es Athleten oder Gruppen, die Sie herausheben können?

Da müsste ich recht viele erwähnen. Allgemein gesagt ist es sicher so, dass wir mittlerweile in jeder Disziplin Chancen für eine Top-3-Platzierung haben. Wir stehen eigentlich an jedem Morgen eines Rennens mit dem Wissen auf, dass wenn es einem unserer Athleten aufgeht, wir an diesem Tag ein Podest einfahren. Das sah vor fünf Jahren noch ganz anders aus.

Bei Ihrer Rückkehr zu Swiss-Ski im Frühling 2014 lag vieles im Argen. Das Männer-Team war im Winter zuvor unter Ihrem österreichischen Vorgänger Walter Hlebayna nur gerade die Nummer 6 der Welt gewesen. Nun ist Ihr Team erstmals – und sogar mit Abstand – das beste. Wie war das möglich?

Da steht konstante Arbeit in allen Disziplinen dahinter. Nun können wir überall die «Big Points» einfahren. Wenn du als gute Mannschaft dastehen willst, musst du auch in den zehn, zwölf Slaloms vorne mitmischen.



Haben Sie immer gewusst, dass es so gut kommt?

Ich wusste schon, dass das was ich mache, Hand und Fuss hat. Gut war, dass ich dazu auch etwas Zeit erhielt. Es wurde niemand nervös, als es anfänglich etwas zäh lief. Nach meiner ersten Saison traten zudem Didier Défago und Silvan Zurbriggen zurück. Dadurch verloren wir doch einige Punkte. Aber es war gleichzeitig absehbar, dass es als Mannschaft vorwärts ging. Wenn es Rückschritte gab, dann betraf das den einen oder anderen Athleten. Oder es lief halt nicht in jeder Disziplin gleich gut. Dadurch ergaben sich links und rechts gewisse Anpassungen. Doch grundsätzlich bewegten wir uns in einem stabilen Umfeld in die richtige Richtung. Umwälzungen waren nicht nötig.

Wie gross ist Ihre Zufriedenheit über die Entwicklung in den letzten sechs Jahren?

Die Nummer eins ist Anerkennung dafür, dass wir gut gearbeitet und vieles richtig gemacht haben. Gleichzeitig müssen wir sofort auch wieder vorwärts schauen. Nun sind wir die Gejagten.

Wie stark ändert sich dadurch die Ausgangslage?

Wir müssen klar weiter Gas geben und dafür besorgt sein, dass auch in diesem Sommer bei möglichst allen Athleten ein weiterer Schritt nach vorne kommt. Wir sind noch nicht mit allen dort, wo wir gerne wären. Und auch bei einem Daniel Yule, um nun doch einen einzelnen Athleten herauszupicken, gibt es trotz drei Saisonsiegen noch höhere Ziele, die er anstreben kann. Die kleine Kugel hat er in diesem Winter nicht gewonnen. Aber vielleicht mit noch einem Sieg mehr pro Saison gelingt ihm dies. Beat Feuz zeigt seit Jahren eine grossartige Konstanz, die auch nächsten Winter wieder gefordert sein wird. Ebenso müssen wir Trainer auch bei Mauro Caviezel, der erstmals die Super-G-Wertung gewann, für das nötige Umfeld besorgt sein, dass er an der Spitze bleiben kann. Wenn sich alle entwickeln, so werden wir auch als Nation in den vordersten Rängen bleiben.

Was kommt aus dem Junioren-Bereich nach?

Sicher nicht gerade die grosse Masse. Aber zwei, drei gute Skifahrer sind es schon. Diese sollen sich zuerst im Europacup festigen, anschliessend folgt dann der nächste Schritt.

Von welcher Vorbereitung auf den nächsten Winter gehen Sie momentan aus?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das sehr schwierig zu sagen. Wir müssen von einem Szenario ausgehen und auf diesem eine möglichst flexible Planung aufbauen. Es wird zunächst sicher einen Hauptblock in der Schweiz geben, da wir nicht wissen, ab wann man wieder reisen darf.

Auch der Ablauf von Ski- und Konditionsblöcken wird wohl anders sein als in den Vorjahren, nicht wahr?

Das ist praktisch zu hundert Prozent sicher, da wir im Frühling nicht mehr auf die Ski können. Sowieso dürfen wir uns nicht als Gruppe bewegen und umherreisen. Wir müssen auch noch abwarten, ab wann wir mit dem Konditionstraining für nächste Saison beginnen dürfen. Normalerweise begänne das in der zweiten Mai-Woche. Im Mai werden wir hoffentlich sehen, wo wir stehen und was sich abzeichnet. Das macht mich nicht nervös, dann die Planung innerhalb der erlaubten Möglichkeiten anzupassen. Das könnte sogar sein Gutes haben, um im Vergleich zu den vorderen Jahren Abwechslung zu haben und neue Reize setzen zu können. Wenn wir das im Mai sollten regeln können, dann mache ich mir nicht allzu viele Gedanken hinsichtlich der nächsten Saison. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist ganz vieles offen und ergäbe es keinen Sinn, Trainingslager in der südlichen Hemisphäre zu planen. Doch wir verfügen in der Schweiz zum Glück über die vollen Trainings-Möglichkeiten.

Ab wann befürchten Sie gravierende Probleme in der Vorbereitung auf die kommende Saison?

Ich hoffe wirklich nicht, dass diese Situation so lange andauert. Doch wenn, dann sitzen wohl alle Nationen im gleichen Boot. Wichtig wäre in einem solchen Fall, nicht nervös zu werden und alles noch nachholen zu wollen. Vielmehr gälte es, aus der kurzen Zeit das Beste herauszuholen. Was genau dann das Beste wäre, kann ich aber jetzt noch nicht abschätzen.

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