Der Parallel-Riesenslalom an der WM in Cortina verkam im Februar zur Farce. Von einer Regeländerung will die FIS aber nichts wissen. Swiss-Ski-Rennchef Urs Lehmann platzt der Kragen.
«Unwürdig», «umstritten», «unfair» – lauteten damals die harmlosesten Headlines nach dem Parallel-Riesenslalom an der Ski-WM 2021 in Cortina d’Ampezzo. Etwas dicker trug der Blick auf und schrieb von einem «Skandalrennen», der österreichische Kurier nannte es «eine Peinlichkeit für den Skisport». Zurecht.
Erinnern wir uns zurück: Der Parallel-Riesenslalom sollte an der Weltmeisterschaft im Februar 2021 mit seinem speziellen Format für besonders viel Spannung sorgen. Eine kleine Regeländerung garantiert auch im zweiten Durchgang Spektakel – da sind sich die Verantwortlichen sicher. Beste Unterhaltung für die des Corona-Lockdown müden Zuschauer vor den TV-Geräten also. Denkste.
Meillard im Halbfinal viel schneller und doch ausgeschieden
Was am Ende bleibt, ist kollektives Kopfschütteln. Das Rennen verkommt zur Farce und sorgt bei Athleten und Ski-Fans gleichermassen für rote Köpfe. Zur Erinnerung: Bei einem Parallel-Event treten jeweils zwei Teilnehmer im K.o.-Modus gegeneinander an. Dabei fahren sie je einmal den blauen und den roten Kurs. Weil der Klassenunterschied zu Beginn des Wettbewerbs aber so gross ist, dass oft schon nach dem ersten Durchgang klar ist, wer die nächste Runde erreicht, hat sich die FIS für die Ski-WM in Cortina etwas ganz Raffiniertes einfallen lassen.
Und zwar wird für den ersten Lauf ein Maximalvorsprung von 50 Hundertstelsekunden festgelegt. Damit soll die Spannung im zweiten Durchgang garantiert sein. Blöd nur, dass sich die rote Piste als die deutlich schnellere herausstellt. Zu den grössten Verlierern dieser Regelung gehört Loïc Meillard. Als Qualisieger musst er in den Finalläufen immer als Erster auf die rote Piste, wo er stets den Maximalvorsprung von 50 Hundertstel herausfährt.
Den Nachteil, als Zweiter auf der langsameren blauen Piste zu fahren, bekommt der Schweizer dann im Halbfinal zu spüren. Auf Rot nimmt er dem Kroaten Filip Zubcic handgestoppt fast eine Sekunde ab. Weil er dann aber nur mit einem Vorsprung von fünf Zehntel in den zweiten Lauf darf, reicht es für Meillard am Ende wegen zwei Hundertstel nicht für den Final, obwohl er insgesamt rund eine halbe Sekunde schneller fährt als Zubcic.
«Das unfairste Rennen meines Lebens»
Noch dramatischer entwickelt sich das Rennen der Frauen. Marta Bassino, die in der Quali nur auf Rang 17 fährt, profitiert im Viertelfinal, Halbfinal und Final von der umstrittenen Regel und krönt sich so zur Weltmeisterin. Landsfrau Federica Brignone wütet nach ihrem Aus: «Das war das unfairste Rennen meines Lebens und das an einer WM! Ich bin wirklich sehr sauer. Ja, so sind die Regeln. Aber so etwas darf es an einer Weltmeisterschaft nicht geben, tut mir leid. Ich hoffe, die FIS wird auf die Athleten hören.» Und, hat sie das?
Hat sie nicht. Obwohl sich nach der Schmach von Cortina neben Bassino fast der gesamte Ski-Zirkus, allen voran Felix Neureuther, Loïc Meillard, Stefan Hoffmänner, Michael Bont oder Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann mit Kritik nicht zurückhielten, hat sich auf dieses Jahr nichts geändert.
«Wir haben viel gelernt. Und werden das Format fairer machen», entschuldigte sich FIS-Rennchef Markus Waldner noch im vergangenen Frühjahr. Heuer sagt derselbe Waldner gegenüber dem Tages-Anzeiger: «Die Penalty-Time von einer halben Sekunde bleibt bestehen und kann auch nicht kurzfristig verändert werden». Der Grund: «Das Ganze ist in Simulationen erfolgreich getestet worden.»
Helfen sollen stattdessen faire Pisten, wie der millionenschwere Neubau im Tirol oder jene am kommenden Wochenende in Lech. «Bei den anderen Parallelwettbewerben in den letzten Jahren hat es keine Probleme gegeben. Wir wollen nicht ständig neue Regeln», hält Bernhard Russi fest, der als Vorsitzender des Executive Board der FIS an der Entscheidung teil hatte.
«Es passiert wieder einmal nichts»
Eine Wiederholung der «Peinlichkeit» von Cortina bleibt also nicht auszuschliessen. Auch weil sich die FIS weigert, einfache Änderungen vorzunehmen, wie sie beispielsweise bei den Snowboardern bereits bestehen. Dort wird jeweils nach der Qualifikation entschieden, wie gross der Maximalvorsprung sein darf.
«Wieso wird dies nicht übernommen? Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund», schimpft Lehmann. «Hätten wir im Februar 100 Leute gefragt, ob die Regeln neu definiert werden müssten, hätten 100 mit Ja geantwortet. Und jetzt? Passiert wieder einmal nichts», legt der Swiss-Ski-Präsident nach.
Die Athletinnen und Athleten selber reagieren in erster Linie mit Desinteresse. «Bis jetzt interessierte es die FIS eigentlich nie, was wir meinen», verriet Brignone bereits letzten Winter. Als Folge scheint man sich schlicht vom neuen Format abzuwenden.
Meillard beispielsweise wird dem Rennen in Lech fernbleiben. Dasselbe gilt für Justin Murisier, Michelle Gisin und Marco Odermatt. Die Schweizer Männer treten im Voralberg mit einem «bestenfalls zweitklassigen Team» an, schreibt der Tages-Anzeiger. Im Grunde genommen die Höchststrafe für den Verband. Und mit Rückblick auf die Geschehnisse in Cortina auch absolut verdient.