Am Tag nach ihrem Silber-Lauf präsentieren die Schweizer Langläuferinnen Nadine Fähndrich und Laurien van der Graaff an der WM in Oberstdorf ihre Medaillen.
Ganz aus ihrer Haut können Langläufer nicht. Auch am Tag nach ihrer Silbermedaille im Teamsprint stehen Nadine Fähndrich und Laurien van der Graaff zum Training auf der Loipe – und das, obwohl beide das Rennen über 10 km Skating am Dienstag auslassen und sich auf die Staffel am Donnerstag konzentrieren.
Die Stimmung ist aber noch immer aufgekratzt. Stolz zeigen die beiden ihre Medaille, sie hatte auch in der Nacht einen Ehrenplatz. «Sie schlief neben mir im Doppelbett», meint Van der Graaff und hält das edle Stück in die Kamera. Gefeiert wurde am Sonntagabend allerdings nicht mehr gross, es gab direkt nach der offiziellen Medaillenfeier im Skisprung-Stadion ein gemeinsames Essen mit dem Team, der Champagner muss noch warten. «Für einen Schnaps war ich zu müde», sagt Van der Graaff. «Das wäre wohl nicht gut rausgekommen. Vielleicht am Sonntag.»
Die Bilder sind nicht gestellt. Wenn sie sich gegenseitig beschreiben sollen, fällt jeweils sehr bald das Wort «Freundin». Fähndrich und Van der Graaff sind tatsächlich mehr als Teamkolleginnen, sie sind in den letzten Jahren zu Freundinnen geworden. Der Kontrast am Sonntag war frappant.
Hier hüpfte Van der Graaff begeistert auf und ab und stürzte sich auf ihre im Schnee liegende Teamkollegin, als die Silbermedaille feststand. Ein paar Minuten später lief Gleb Retiwych als Dritter über die Ziellinie, sein Mitläufer – das Wort Teamkollege wäre in diesem Fall definitiv fehl am Platz – Alexander Bolschunow würdigte ihn aber keines Blickes. Der Russe schien seinem Landsmann, der im Teamsprint auf der Schlussrunde vom 1. auf den 3. Platz zurückgefallen war, sogar demonstrativ den Rücken zuzuwenden.
Die ideale Symbiose
Die Freude bei den beiden Schweizerinnen war nicht nur grösser, weil es ihre erste Medaille bei einem Grossanlass war, bei ihnen ist das Team im Einzelsport Langlauf ganz entscheidend. Fähndrich und Van der Graaff ergänzen sich im seit 2005 bei Grossanlässen gelaufenen Teamsprint geradezu ideal.
Auf der einen Seite die 33-jährige, in den Niederlanden geborene Davoserin Van der Graaff, die vor zwei Jahren nahe am Aufgeben war, und nicht mehr ganz über die Endschnelligkeit verfügt wie 2017/18, als sie im Sprint zwei Weltcupsiege feierte. Sie zeichnet sich aber durch ein feines taktisches Gespür aus und bringt damit die Schlussläuferin Fähndrich immer in eine gute Position.
Auf der anderen Seite die acht Jahre jüngere Luzernerin, die sich in den letzten beiden Jahren sukzessive der Weltspitze im Sprint angenähert hat und mit dem Support des Teams im Rücken auf dem letzten Kilometer mit jeder Gegnerin mithalten kann. Es brauchte am Sonntag schon die Einzelsprint-Weltmeisterin Jonna Sundling, um die erste Goldmedaille für die Schweizer Frauen an einer Nordisch-WM zu verhindern.
In den Tagen davor waren Van der Graaff und der Rest des Teams vielleicht noch stärker als Psychologen gefragt als in ihrer eigentlichen Funktion. Denn nach dem Tiefpunkt im Sprint vom Donnerstag, als Fähndrich als Medaillenkandidatin bereits in der Qualifikation scheiterte und den sie als «Systemkollaps» bezeichnete, musste sie erst wieder aufgerichtet werden. Van der Graaff hatte in der Vergangenheit ihre eigenen Dämonen auszutreiben und konnte mit ihrer Erfahrung helfen. Sie bezeichnet die Zentralschweizerin als «ehrlich, zielstrebig und selbstironisch». «Es brauchte aber mehr als Selbstironie», gibt Fähndrich am Tag nach der Erlösung zu.
Dank Teamwork zur Medaille
Es brauchte viele Gespräche. Mit den Eltern in Eigenthal am Fusse des Pilatus, dem Freund im Baselland, dem vier Jahre jüngeren Bruder, der ebenfalls Langläufer ist, dem Psychologen, mit dem sie schon seit einiger Zeit zusammenarbeitet. «Am Ende ist es immer Teamwork, auch wenn alle sagen, Langlauf sei ein Einzelsport», betont Fähndrich. Am Tag X ergaben der Kopf und die Motivationskünste von Laurien van der Graaff, die Beine von Nadine Fähndrich und das grosse Herz von beiden wieder die perfekte Mischung.
Fähndrich erzählt lachend: «Als Lau (rien) im Zielraum auf mich klopfte, sagte ich: 'Du klopfst auf Holz, um sicher zu sein, dass die Medaille da ist.» Sie war da, und das hochverdient.
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