Carlos Alcaraz triumphiert im Londoner Queen's Club in seinem erst dritten Turnier auf Rasen. Nun kann der 20-jährige Spanier in Wimbledon den haushohen Favoriten herausfordern.
Turniersiege von Carlos Alcaraz sind an sich nichts Spezielles mehr. Als er am Sonntagnachmittag die riesige Trophäe im noblen Londoner Stadtteil Kensington in die Höhe hielt, war dies bereits sein elfter Titel auf der ATP Tour. Zum Vergleich: Roger Federer hatte im gleichen Alter einen Sieg, Novak Djokovic fünf und Rafael Nadal bereits siebzehn. Es sind diese Grössen, mit denen Alcaraz bereits verglichen wird – das ist Motivation und Bürde zugleich.
Seit Montag ist Alcaraz zum vierten Mal wieder die Nummer 1 der Weltrangliste und wird deshalb in einer Woche Wimbledon als topgesetzter Spieler in Angriff nehmen. «Dieser Titel bedeutet mir sehr viel», sagte der gerührte Spanier. «Und es hilft mir, als Nummer 1 nach Wimbledon zu gehen.» Alcaraz ist aber auch klar, dass die Konkurrenz riesig sein wird. Dennoch meint der Shootingstar: «Ich sehe mich als einer der Favoriten auf den Wimbledon-Sieg.»
Djokovics verrückte Statistiken
Der 20-Jährige aus der Provinz Murcia im Südosten Spaniens kennt nur zu gut die Statistiken von Novak Djokovic in Wimbledon. «Ich habe gelesen, dass Novak mehr Matches gewonnen hat als der Rest der Top 20 zusammen», erzählt Alcaraz mit einer Mischung aus Schmunzeln und Ehrfurcht. «Und auf den Centre Court hat er seit 2013 nicht mehr verloren. Das ist einfach verrückt.» Es sei klar, dass Djokovic der riesengrosse Favorit sei. «Aber ich hoffe, ich werde die Fans auf meiner Seite haben, um diese Statistik zu ändern.»
Um an der altehrwürdigen Church Road gegen Djokovic spielen zu können, muss Alcaraz aber den Final erreichen. Er traut sich das zu. Der Spanier verfügt über fast unbegrenzte spielerische und körperliche Ressourcen und das entsprechende Selbstvertrauen. Wo andere Vertreter der sogenannten «Next Generation», die seit vielen Jahren am Thron der Giganten rütteln und immer wieder gescheitert sind, hat Alcaraz mit dem US Open im letzten Jahr bereits einen Grand-Slam-Titel in der Tasche. Was ihm aber noch fehlt, ist ein grosser Sieg gegen einen der «Big 3» an einem Major-Turnier.
Den Djokovic-Effekt am eigenen Leib gespürt
Gegen Federer wird er diese Chance nicht mehr erhalten, gegen Nadal wohl auch nicht. Seinen Landsmann sowie Djokovic hat Alcaraz zwar schon geschlagen, aber eben nie an einem Grand Slam auf drei Gewinnsätze. Wie gigantisch diese Aufgabe ist, musste der junge Spanier vor zweieinhalb Wochen in Paris erfahren.
Im Halbfinal gegen Djokovic wurde der Stress zu viel, nach zwei unglaublich intensiven Sätzen reagierte sein Körper mit heftigen Krämpfen, in den Sätzen 3 und 4 konnte Alcaraz phasenweise kaum noch gehen und blieb deshalb chancenlos. Djokovic machte sich zwei Tage später mit seinem 23. Grand-Slam-Titel zum alleinigen Rekordhalter.
Da der Serbe bislang keinerlei Anzeichen zeigt, langsamer zu werden oder seinen Ehrgeiz einzubüssen, könnte das Duell mit sechzehn Jahren Altersunterschied noch für einige Jahre die Sportwelt begeistern und faszinieren. Die Ära der «Big 3» ist zu Ende gegangen, nun gibt es dafür (endlich) einen Kampf der Generationen. Bis vor einer Woche musste man davon ausgehen, dass Alcaraz auf Rasen noch nicht so weit ist, um Djokovic, der in Wimbledon mittlerweile genauso dominant ist wie Federer in seinen besten Jahren, herauszufordern.
Sieg in Queen's als gutes Omen
Auch jetzt ist eine Finalqualifikation des Spaniers natürlich alles andere als sicher. Die Organisatoren erkannten das riesige Talent von Alcaraz schon vor zwei Jahren und statteten den damals 18-Jährigen mit einer Wildcard aus. Er scheiterte in der 2. Runde an der Weltnummer 2 Daniil Medwedew, vor einem Jahr schaffte er es immerhin bereits in die Achtelfinals, wo er Jannik Sinner unterlag.
Den Sieg im Queen's Club darf Alcaraz durchaus als gutes Omen ansehen. Seit 1980 haben zehn Sieger des Turniers anschliessend auch in Wimbledon triumphiert, zuletzt zweimal Andy Murray (2013 und 2016) sowie Rafael Nadal 2008. Ein Vorteil hätte Alcaraz in einem allfälligen Final gegen Djokovic: Er würde nicht wie auf dem Sand in Paris als Favorit angesehen und könnte die Sache lockerer angehen.