Australien ist ein sportverrücktes Land – und auch ein ziemlich erfolgreiches. Bloss beim Tennis-Heimturnier klappt es nicht mehr. Seit 1978 hat niemand aus Down Under am Australian Open gewonnen.
Pat Cash, Pat Rafter, Lleyton Hewitt, Samantha Stosur, Ashleigh Barty: Die Liste der australischen Tennisstars ist lang, die in den letzten Jahrzehnten am Druck beim Heimturnier zerbrachen. 1976 gewann in Melbourne letztmals ein australischer Mann (Mark Edmondson), 1978 letztmals eine Aussie-Frau (Chris O'Neil), beide noch auf dem Rasen des altehrwürdigen Stadions im Stadtteil Kooyong. Seit dem Umzug in die Rod Laver Arena ist die Bilanz geradezu desaströs.
Nun ist die Hoffnung gross, dass mit der Weltnummer 1 Barty endlich die Erlösung naht. In acht Matches (Einzel und Doppel) in diesem Jahr ist die 25-Jährige noch ungeschlagen, in Adelaide gewann sie gleich beide Titel. Mit seinen Siegen am French Open, an den ATP Finals (beide 2019) und in Wimbledon (2021) zeigte das 1,66 Meter kleine Multitalent aus Queensland zur Genüge, dass es auch die grossen Turniere dominieren kann. In Melbourne war in den letzten drei Jahren aber stets in Viertel- oder Halbfinal Endstation.
Überall Siege – nur nicht zu Hause
Barty wäre beileibe nicht die Erste, die ihre grossartige Karriere ohne einen Heimsieg beenden würde. Rund um die Welt feierten Australier seit 1978 grosse Siege, je viermal in Wimbledon durch Evonne Goolagong, Cash, Hewitt und Barty, am US Open durch Rafter (2), Hewitt und Stosur sowie in Paris durch Barty. Gerade das Australian Open, bei dem alle Konkurrenten eine lange Anreise hinter sich haben und Anfang des Jahres vielleicht noch nicht in Topform sind, wäre eigentlich prädestiniert für die einheimischen Stars. Doch immer wieder scheitern sie an den Erwartungen und dem – durch die lange Wartezeit mit jedem Jahr grösser werdenden – Druck.
Auch Franzosen leiden
Die Australier stehen mit ihrem Leiden beileibe nicht alleine da. Die Briten warteten sage und schreibe 77 Jahre auf einen Heimsieg, ehe sie 2013 durch Andy Murray erlöst wurden. Ein Grund für die Schwierigkeit der traditionell dominierenden Grand-Slam-Nationen, sich weiter durchzusetzen, ist das in den letzten Jahrzehnten zunehmend internationaler gewordene Tennis. Speziell bei den Männern sind Siege von Spielern, die nicht aus der Schweiz, Spanien oder Serbien stammen, zunehmend rar geworden. Und der Druck ist durch die grossartige Historie und die überragende Bedeutung der Heimturniere enorm gross.
Fast so lange wie die Australier leiden die Franzosen. Mary Pierce triumphierte in Roland Garros 2000, bei den Männern war es Yannick Noah, der 1983 die Grande Nation verzückte. Allerdings gewann seither trotz der Fülle an talentierten Spielern kein Franzose mehr ein Grand-Slam-Turnier – nirgends auf der Welt. Dank Serena Williams (und Sloane Stephens) hielten die US-Ladies in New York die Fahne der «Stars and Stripes» hoch. Der letzte Sieg eines Mannes (Andy Roddick) in Flushing Meadows liegt hingegen auch schon 19 Jahre zurück.
Bartys steiniger Weg
Nun soll es Ashleigh Barty in Melbourne richten. Bei den Männern wehrte sich Nick Kyrgios gegen den Topfavoriten Daniil Medwedew spektakulär, aber letztlich erfolglos. Mit dem als Nummer 32 gesetzten Dauerrenner Alex de Minaur und dem Qualifikanten Chris O'Connell erreichten zwar zwei Australier die dritte Runde, das Turnier werden sie aber kaum gewinnen.
Selbst Bartys Weg ist jedoch trotz Topform steinig. Das Los meinte es nicht gut mit der zwischenzeitlichen Cricket-Profispielerin. Bereits in den Achtelfinals dürfte sie auf die Titelverteidigerin und – wenn sie mental auf der Höhe ist – aktuell beste Spielerin Naomi Osaka treffen. Übersteht Barty diese Hürde, kann sie eigentlich nur noch an ihren Nerven scheitern.