Ex-Mentalcoach «Guru» Pepe Imaz: «Novak muss einsehen, dass niemand Gott ist»

lbe

10.9.2020

Pepe Imaz (rechts) war rund zwei Jahre Teil von Novak Djokovics Entourage.
Pepe Imaz (rechts) war rund zwei Jahre Teil von Novak Djokovics Entourage.
Bilder: Getty

«Guru» Pepe Imaz deutet die Unbeherrschtheit seines ehemaligen Schützlings Novak Djokovic als Folge von zu hohem Erwartungsdruck und hofft auf eine Signalwirkung. 

Der Mentalcoach Pepe Imaz, früher selbst Tennisprofi, gehörte zwischen 2016 und 2018 zum Betreuer-Team von Novak Djokovic und sollte dem Serben mit seiner Lebensphilosophie zu Höchstleistungen verhelfen. Der Spanier, der auf die «Kraft der Meditation und von langen Umarmungen» setzt, half 2013 bereits Djokovics Bruder Marko bei dessen Depressionen – und geniesst bei den Djokovics deshalb hohes Ansehen.

Doch das Engagement von Imaz war für Novak nicht von Erfolg gekrönt, im Nachhinein steht der «Guru» gar für die sportlich wahrscheinlich schwächste Karrierephase des Serben. Gleichzeitig trennte sich Djokovic in dieser Zeit von Trainer Boris Becker und beinahe dem ganzen restlichen Staff. Erst auf Druck von Bezugsperson Marjan Vajda beendete Djokovic im Frühling 2018 die Zusammenarbeit, das Verhältnis der beiden soll aber bis zum heutigen Tag positiv sein.

Die Rekordjagd als Stressfaktor?

Für Imaz ist Djokovics Unbeherrschtheit im Achtelfinal der US Open, die ihm schliesslich die Disqualifikation einbrockte, «das Produkt der Spannung, die sich aufgestaut hat». Dem spanischen Radiosender «Cadena Ser» erklärt er: «Schon drei oder vier Punkte davor hat man gesehen, dass sich Novak überhaupt nicht wohl auf dem Court fühlte und sein Gesicht voller Wut war. Das hat ihn zu diesem Fehler veranlasst.» Der Frust habe sich mehr und mehr aufgebaut.

Wie Ex-Trainer Boris Becker glaubt auch Pepe Imaz, dass die Konkurrenzsituation mit Federer und Nadal nicht spurlos an Djokovic vorbeigeht. «Novak spürte den Druck, dass er sehr nahe daran war, sich weiter den Rekorden seiner Rivalen Federer und Nadal anzunähern, da sie nicht in New York am Start waren.» Lieber hätte sich der 17-fache Grand-Slam-Champion nur auf sich selber konzentriert.



Aus seinem Fehler müsse er nun die notwendigen Lehren ziehen, betont Imaz: «Er hat die Verantwortung für seine Tat übernommen und wird sich damit auseinandersetzen müssen. Aber das Beste, was wir alle tun können, ist, ihm das Gefühl zu geben, dass wir an seiner Seite sind, wenn er etwas braucht.»

Imaz: «Niemand ist Gott»

Schliesslich habe der Vorfall in Flushing Meadows gezeigt, dass auch Djokovic und seine Mitstreiter menschlich sind – mit eigenen Charakterzügen. Imaz erhofft sich eine Signalwirkung: «Ich glaube, dass dieser Vorfall dazu beitragen wird, dass man Tennisspieler nicht vergöttert. Es ist wichtig, dass Djokovic einsieht, dass niemand Gott ist. Novak ist Novak und jeder hat seine eigene Persönlichkeit.»

Sasa Ozmo, ein serbischer Journalist, beschreibt seinen engen Freund Djokovic im «Tages-Anzeiger» als komplexe Persönlichkeit. «Manchmal scheint es, er sei mental stärker als jeder Sportler, den es je gab. Ein anderes Mal ist er nervös wie gegen Pablo Carreño Busta, gegen den er normalerweise in drei Sätzen gewinnt», sagt Ozmo und führt aus: «Novak ist manchmal sein grösster Feind, kann sich durch seinen Perfektionismus nervös machen lassen.»

Djokovic gegen die Welt

Mit der Konkurrenz zu Federer oder Nadal habe der Aussetzer aber nichts zu tun. Ozmo ist überzeugt, dass sein Landsmann bereits darüber hinweggekommen ist. «Mit der Zeit fand er einen Weg, damit umzugehen, es sogar zu seinem Vorteil zu nützen. Während des Spiels macht ihn das nur noch entschlossener. Wenn er im Modus ‹Ich gegen die Welt› ist, ist er nur sehr schwer zu schlagen.»

Unabhängig davon ist Ozmo aber überzeugt, dass Djokovic der Ausschluss sehr nahegeht. Die geschwänzte Pressekonferenz beweise das: «Dafür wurde er zu Recht kritisiert. Das zeigt mir, dass ihn diese Disqualifikation stark getroffen hat und er eine Weile brauchen dürfte, um darüber hinwegzukommen.» Viel Zeit bleibt Djokovic aber nicht, bereits in zweieinhalb Wochen starten in Paris die French Open.

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