Holger Rune sagt nach seinem Ausraster in Paris, dass auch Roger Federer früher kein Kind von Traurigkeit war. Völlig falsch liegt er mit dieser Behauptung nicht. Ein Blick in die Historie.
Der erst 19-jährige Holger Rune musste nach seinem Viertelfinal-Out bei den French Open viel Kritik einstecken. Nicht zu Unrecht, schliesslich präsentierte sich der Däne bei seiner Niederlage gegen Casper Ruud nicht gerade von der besten Seite. Er stauchte die eigene Box zusammen, seine Mutter verliess darauf das Stadion. Dafür bekam er am Ende auch noch von seinem Gegner eine Standpauke: «Wenn du auf einer grossen Bühne stehst, ist es vielleicht an der Zeit, ein bisschen erwachsen zu werden», so Ruud am Netz.
Inzwischen hat sich Rune für seine Worte entschuldigt, fügt dabei allerdings auch an, dass er ja noch Zeit habe, an seinem Image zu arbeiten. «Wenn man Roger Federer als Jugendlichen gesehen hat, war er vielleicht 40-mal schlimmer als ich. Und er ist einer der beliebtesten Tennisspieler auf der Tour.»
Der Zeitpunkt der Selbstreflexion
Tatsächlich war Federer als Jugendlicher ein richtiger Heisssporn. Das sagen auch seine früheren Trainer über ihn. Es gab aber einen entscheidenden Einschnitt in Federers Karriere, der den Schweizer ruhiger werden liess: eine Videoanalyse eines seiner Matches gegen Marat Safin.
In dieser wurde Federer erstmals richtig bewusst, was für ein Bad Boy er auf dem Platz war. «Er sah sich selber schreien, brüllen und Dinge rumwerfen», erinnerte sich der frühere Nike-Direktor Mike Nakajima einst. «Er hat sich geschämt und beschlossen, nie wieder so aufzutreten.»
Ganz ist das Federer nicht gelungen. Auch er hatte immer mal wieder den einen oder anderen kleinen Wutausbruch, auf die wir jetzt etwas genauer zurückschauen. Es lässt sich aber relativ einfach festhalten, dass Federer dabei mit Sicherheit nicht 40-mal schlimmer war als Rune.
Italian Open – Mai 2006
Es war eine der frühesten Begegnungen zwischen Roger Federer und Rafael Nadal. Der Spanier baute seine Head-to-Head-Bilanz mit einem weiteren Sand-Sieg auf 4:1 aus. Federer verlor gegen Ende der Partie den Fokus komplett und stauchte Nadals Onkel Toni für unerlaubtes Coaching zusammen. Der damals erst 19-jährige Nadal meinte in der Medienkonferenz später: «Federer muss noch lernen, sich auch bei Niederlagen wie ein Gentleman zu benehmen.»
Miami Masters – April 2009
Während Roger Federer in Jugendtagen noch einen regen Racketverschleiss hatte, waren inzwischen acht lange Jahre vergangen, in denen er kein Arbeitsgerät mehr zerstörte. Bei seiner Halbfinal-Niederlage gegen Novak Djokovic in Miami verlor der Schweizer aber wieder einmal die Beherrschung. Er schleuderte sein Racket zu Boden und verweigerte dem Stuhlschiedsrichter später den Handschlag. Vom Publikum gab es für diese unsportliche Aktion Buhrufe und Pfiffe.
French Open – Mai 2012
Schon beim Duell mit Juan Martin del Potro beim US-Open-Final 2009 war Federer äusserst gereizt, drei Jahre später ging er in Paris definitiv zu weit. Beim Viertelfinal lag er gegen den Argentinier mit zwei Sätzen zurück, als er das Publikum aufforderte «endlich mal ruhig zu sein». Auch wenn der Schweizer kurz die Nerven verlor, konnte er sich daraufhin wieder fokussieren und gewann die Partie schliesslich in fünf Sätzen.
Australian Open – Januar 2013
Beim Halbfinal-Duell mit Andy Murray rutscht Roger Federer für einmal das F-Wort raus. Der Szene ging ein strittiger Ballwechsel voraus, bei dem sich die beiden bezüglich der Challenge nicht einig waren, ob alles korrekt ablief. Im Nachhinein wollte aber keiner der beiden ein grosses Thema daraus machen. Murrays Kommentar dazu war lediglich: «Das ist nicht von Relevanz.»
Cincinnati Masters – August 2014
Über die Jahre hat sich Federer angewöhnt, im Notfall besser auf Schweizerdeutsch zu fluchen als auf Englisch. So etwa auch bei seinem Duell mit Vasek Pospisil in Cincinnati. «Es isch so zum Chotze do! Zum Chotze! I drüll dure!», schrie er sich selber an. Seine Frau Mirka sass derweil im Publikum und nahm die Fluchtirade mitten im zweiten Satz ganz offensichtlich gelassen, während sich ihre Sitznachbarn ein Grinsen nicht verkneifen konnten. Federers Kinder waren glücklicherweise nicht im Stadion.
Swiss Indoors Basel – Oktober 2017
Die BBC sprach bei dieser Austragung von einer «seltenen Show der Emotionen» bei Roger Federer. Wieder einmal war es der Argentinier Juan Martin del Potro, der den Schweizer zum Verzweifeln brachte. Federer verlor im Tiebreak fünf Punkte in Folge, bevor er sein Racket ins Netz schlug. Auch dieses Mal hat sich das Dampfablassen zumindest sportlich gelohnt. Federer gewinnt die Sätze zwei und drei und schliesslich auch den Titel.
Australian Open – Januar 2018
Bei diesem Spiel gab es eigentlich keinen Grund, sich aufzuregen. Federer startete gegen den südkoreanischen Aussenseiter Hyeon Chung fulminant in die Partie. Er gewann den ersten Satz mit 6:1 und auch der zweite Satz verlief ideal für Federer. Dann allerdings brachte ein Schiedsrichterentscheid den «Maestro» kurzzeitig aus der Fassung. «Bullshit», lautete Federers Kommentar in Richtung des Unparteiischen. Das Schimpfwort blieb unbestraft. Chung musste anschliessend aufgeben. Im Final holte Federer seinen bis heute letzten Grand-Slam-Titel.