Kommentar «Stan the man» kehrt zurück – doch die Anerkennung bleibt aus

Von Luca Betschart

1.11.2019

Blickt auf eine gute Saison zurück: Stan Wawrinka.
Blickt auf eine gute Saison zurück: Stan Wawrinka.
Bild: Keystone

Rafael Nadal besiegt Stan Wawrinka in Paris-Bercy und beendet die Saison des Schweizers damit vorzeitig. Dennoch blickt der Romand auf ein starkes Jahr zurück – auch wenn das in seiner Heimat so nicht anerkannt wird.

Im Juni 2018 fällt Stan Wawrinka nach «seinen schwierigsten Monaten auf der Tour» und zwei Operationen am Knie in der Weltrangliste bis auf Position 263 zurück. Die Zukunft des 34-Jährigen steht in dieser Zeit auf der Kippe, sogar Rücktrittsgedanken beschäftigen ihn: «Diese Idee spielte sich in meinem Kopf immer wieder ab», sagte Wawrinka damals.

Nur rund vier Monate später befindet sich der Schweizer auf bestem Weg zurück und ist bereits wieder die Weltnummer 68, als er die verseuchte Saison noch vor den Swiss Indoors 2018 wegen Rückenproblemen beenden muss. Doch Wawrinka steckt nicht auf.

Der Wendepunkt in Rotterdam?

Unbeirrt arbeitet er hart an seiner Rückkehr an die Weltspitze – und belohnt sich in dieser Saison dafür. Im Februar kehrt er zurück auf die Erfolgsspur und schlägt in Rotterdam mit Paire, Raonic, Shapovalov und Nishikori gleich reihenweise Spieler, die im Ranking vor ihm klassiert sind. Erst im Endspiel wird er von Gael Monfils gestoppt, kehrt aber dennoch in die Top 50 zurück.

In der Folge klettert Wawrinka in der Weltrangliste kontinuierlich nach oben und erinnert insbesondere an den Grand-Slam-Turnieren mehr und mehr an den Wawrinka aus den besten Zeiten. An den French Open eliminiert er in einem spektakulären Match Stefanos Tsitsipas und schafft es bis in den Viertelfinal. An den US Open begeistert er die Massen, als er im Achtelfinal den angeschlagenen Djokovic aus dem Rennen nimmt und ebenfalls bis in den Viertelfinal vorstösst. Vor zwei Wochen schafft der 34-jährige in Antwerpen zum zweiten Mal in der laufenden Saison den Sprung in den Final, den er gegen den wiedergenesenen Andy Murray auf bittere Art und Weise verliert.

«Stan the man» ist zurück

Dank den starken Resultaten figuriert der Romand seit Montag auf Platz 16 der Weltrangliste – und ist definitiv zurück bei den Allerbesten. Dass Wawrinka bis zum letzten Turnier der Saison in Paris-Bercy die Chance hat, sich für die ATP-Finals zu qualifizieren, unterstreicht das. Und wer die Partie gegen Nadal am Donnerstag verfolgt, merkt: «Stan the man» hat an einem guten Tag auch gegen den amtierenden US-Open-Champion alle Möglichkeiten.

In der französischen Hauptstadt ist Wawrinka zumindest phasenweise der bessere Spieler. Im ersten Satz macht er gleich viele Punkte wie sein Kontrahent, verliert den Satz aber mit 4:6. Im zweiten Satz bewegen sich die beiden auf Augenhöhe, bevor sich der Schweizer eine Schwächephase zur Unzeit erlaubt – und sich in die verdienten Ferien verabschiedet.

Ein Titel bleibt Wawrinka 2019 zwar verwehrt, ansonsten fällt sein Saisonfazit aber durchwegs positiv aus: «Ich kann sagen, dass es ein sehr gutes Jahr war. Ich habe mein Selbstvertrauen zurückgewonnen, indem ich die besten Spieler der Welt wieder besiegen konnte. Klar, ich habe keinen Grand Slam gewonnen, aber ich weiss jetzt, dass ich es in der nächsten Saison schaffen kann. Mich in dieser Lage zu befinden, war mein Ziel in diesem Jahr», sagte der 16-fache ATP-Turniersieger kürzlich in Basel.

Nach wie vor dürftige Anerkennung für Wawrinka

Nur: In der Schweiz scheint das nicht zu genügen, um von einer guten Saison zu sprechen. Das spürt auch Wawrinka und beklagt sich an den Swiss Indoors über fehlende Anerkennung. Da passt ins Bild, dass «SRF» das Duell des dreifachen Grand-Slam-Siegers mit Rafael Nadal nicht im TV zeigt und bloss einen unkommentierten Livestream zur Verfügung stellt. Es liegt auf der Hand, dass dies bei einem Duell zwischen Nadal und Wawrinkas Landsmann Roger Federer anders gelaufen wäre. Das bestätigt «SRF» in einem Tweet.

Wir finden: Dass der beste Schweizer Tennisspieler diesbezüglich Sonderbehandlung geniesst, ist verständlich. Dass dem zweitbesten Schweizer Tennisspieler der Geschichte dagegen zu wenig Anerkennung entgegengebracht wird, nicht.

Zurück zur StartseiteZurück zum Sport