Mit seinen beeindruckenden Auftritten in Miami überzeugt Roger Federer einmal mehr auf ganzer Linie und steht im ATP-Jahresranking auf Platz 1. Darf man gar von der Rückkehr auf den Tennis-Thron träumen?
Zwei Wochen nach der knappen Finalniederlage in Indian Wells gewinnt Roger Federer in Miami mit starken Auftritten seinen 101. ATP-Titel. Dank des Finalsiegs über John Isner überholt er im Jahresranking der ATP Novak Djokovic und hat in der laufenden Saison am meisten Punkte aller Spieler geholt (2280). Die Art und Weise, wie der Schweizer seine Widersacher in Miami aus dem Weg räumt, ist beeindruckend und weckt für die anstehende Sandsaison Hoffnung auf noch mehr Turniersiege. Deren acht fehlen ihm noch bis zum Rekord von Jimmy Connors. Federer behält in dieser Saison auch in langen Ballwechseln das bessere Ende oft auf seiner Seite und beweist viel Geduld – Qualitäten, die auf der roten Asche noch von höherer Bedeutung sind als auf dem Hartplatz in Miami.
Die Grundlinienspezialisten Medvedev und Shapovalov lässt er mit tiefen Slices auf der Rückhand, einem Defensiv-Schlag, beinahe verzweifeln. Federer verteidigt die Bälle wie eine Wand und beweist, wie beweglich er auch in hohem Tennisalter noch ist – egal ob am Netz oder beim Return.
Mit Unbeschwertheit zur Sensation?
Der Baselbieter scheint bereit für seine erste Sandsaison seit drei Jahren, zu verlieren hat er gar nichts – nicht einmal Punkte muss er verteidigen. Die Aussenseiterrolle macht die aktuelle Weltnummer vier womöglich noch gefährlicher, wenn man sich an die Lockerheit erinnert, mit der er nach halbjähriger Verletzungspause 2017 auf die Tour zurückkehrte und völlig überraschend die Australian Open gewann. Optimisten lässt das auf einen weiteren Major-Titel hoffen – und das wiederum lässt uns noch ein bisschen weiter träumen.
Sollte Federer die gute Form auf die Sandunterlage mitnehmen und in Madrid und Paris mit einem ähnlich guten Abschneiden wie in Florida alle überraschen können, ist er spätestens in Wimbledon wieder ein heisser Titelaspirant. Weil bis zum Turnier in England neben den French Open auch noch drei Masters-Turniere stattfinden, in denen von den Top-4 der Weltrangliste nur Federer keine Punkte aus dem Vorjahr zu verteidigen hat, würde der Schweizer auch im Ranking einen Sprung nach vorne machen. Obwohl Federer mit der geplanten Teilnahme in Madrid, Paris und Wimbledon wohl nicht alle Turniere bestreitet – ein perfekter Sommer könnte Federer gar zurück an die Weltranglistenspitze katapultieren.
So wird Federer wieder die Nummer 1
Voraussetzung dafür: Federer siegt in Paris und Wimbledon. Ein Kunststück, das ihm vor genau zehn Jahren glückte – und bis heute nie mehr. Vor allem ein Triumph an den diesjährigen French Open käme einer Sensation gleich. Mit Nadal und Djokovic sind zumindest zwei Spieler gegenüber dem Schweizer klar zu favorisieren, die Buchmacher sehen ausserdem Dominic Thiem und Alexander Zverev vor Federer. «Bluewin» rechnet trotzdem vor:
Aktuell liegt der 20-fache Grand-Slam-Sieger hinter Djokovic, Nadal und Zverev auf Position vier der Weltrangliste, kann aber bis und mit dem Turnier in Wimbledon theoretisch rund 4'600 Punkte zusätzlich gewinnen. Mit einer solchen Ausbeute hätte der Schweizer über 10'000 Punkte auf seinem Konto – eine Marke, die eigentlich nur Djokovic überbieten kann.
Alexander Zverev hätte bei gegebenem Szenario definitiv weniger Punkte. Der Deutsche muss ohnehin rund 2'400 Punkte verteidigen und kann ohne Major-Titel im Sommer nicht auf so viele Zähler kommen. Noch mehr gewonnene Punkte aus der vergangenen Saison bringt Sandhase Nadal mit. Der Spanier gewann die French Open und die ATP-1000-Turniere in Rom und Monte Carlo und hat bis und mit Wimbledon 4'900 Zähler zu verteidigen. Unter diesen Voraussetzungen (Federer gewinnt in Paris und Wimbledon) ist es auch für den 32-Jährigen ein Ding der Unmöglichkeit, die 10'000-Marke zu knacken.
Alle Vorteile bei Djokovic
Novak Djokovic hingegen war während der Sandsaison 2018 nach seinem Comeback noch auf Formsuche und verliert bis Ende Juni bloss 855 Punkte. Für Federer ist er bis dann somit gar nicht einzuholen. Mit Wimbledon ändert sich dies für den Serben allerdings dramatisch, da er in der vergangenen Saison ab diesem Zeitpunkt wie verwandelt spielte und neben Wimbledon auch in New York, Schanghai und Cincinnati grosse Titel gewann.
Sollte Djokovic wie zuletzt in den USA auch am French Open vor dem Viertelfinale scheitern und an den Master-Turnieren in Monte Carlo, Rom und Madrid kein Finale erreichen, wäre die Wachablösung rein rechnerisch gar schon in Wimbledon möglich. Allerdings nur bei einer Niederlage des 31-Jährigen vor dem Halbfinal – und natürlich dem 22. Grand-Slam-Titel von Roger Federer. Rechnerisch zwar möglich, im Moment aber eher ein Zahlenspiel.