Kugelstossen Barnes' Weltrekord ohne Glaubwürdigkeit

SDA

18.5.2020 - 06:04

Randy Barnes 1996 an den Sommerspielen in Atlanta.
Randy Barnes 1996 an den Sommerspielen in Atlanta.
Source: Keystone

Der lebenslang suspendierte Kugelstosser Randy Barnes hält seit 30 Jahren einen Weltrekord ohne jede Glaubwürdigkeit. Die Marke von 23,12 m ist ein Relikt aus der Zeit des grossflächigen Dopings.

Er habe Angst vor dem Tag, an dem es nicht mehr weitergehe, hatte Randy Barnes einmal gesagt. Der bald 54-jährige Amerikaner, der über seine imposante Postur definiert wurde, liess tief blicken. Der Starke sprach von Schwäche, die bei einem wie ihm mit fast zwei Metern Grösse und über 130 Kilo Gewicht nicht vermutet worden wäre. Wenn dieser Bär von einem Mann seine sensible Seite thematisierte, er über seine Sorgen wegen einer möglichen Verletzung, das Versagen im Wettkampf oder über die Gefahr von Selbstgefälligkeit sprach, war das Erstaunen bei den Zuhörern gross.

Wie sehr sein fragiles Inneres Barnes zum Griff nach verbotenen Mitteln bewogen hat, bleibe dahingestellt. Fakt ist, dass er zweimal des Dopingmissbrauchs überführt worden ist – ein erstes Mal im August 1990. Gut zwei Monate, nachdem er den knapp zwei Jahre bestehenden Freiluft-Weltrekord des Ostdeutschen Ulf Timmermann um sechs Zentimeter verbessert hatte, ging er vor einem Meeting in Malmö den Fahndern ins Netz. Sie wiesen ihm den Gebrauch des anabolen Steroids Methyltestosteron nach.

Trotz des verhängten Banns bleibt Barnes' Bestleistung bis heute anerkannt. Der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF sieht nach wie vor von der Annullation der am 20. Mai 1990 erreichten Weite ab. Das Ansinnen, alle vor 2005 aufgestellten Rekorde zu tilgen, wartet weiter auf die Umsetzung.

Erfolglose Klagen

Barnes, der seit Januar 1989 mit 22,66 m auch den Hallen-Weltrekord hält, reagierte auf das Testergebnis in Schweden wie die meisten der Betrüger ihrer Art. Er war sich keiner Schuld bewusst, bestritt die Verwendung verbotener Substanzen und sprach von Manipulation seiner Urinprobe und von Verschwörung. Zweimal zog er mit einer Klage vor Gericht, zweimal wurde der Einspruch zurückgewiesen. Die Argumentation, dass Tests zwölf Tage vor und fünf Tage nach der in Malmö abgegebenen Probe keine Auffälligkeiten gezeitigt hätten, blieb ohne Erfolg. Das damals für ein erstes Dopingvergehen übliche Strafmass, eine zwei Jahre dauernde Sperre, hatte Bestand.

In den Wettkampf-Ring kehrte Barnes im Februar 1993 bei einem Meeting in Los Angeles zurück – mit dem Fernziel Olympische Spiele 1996 in Atlanta. Vor heimischem Publikum erfüllte er sich den Traum vom Gold, das er acht Jahre zuvor in Seoul knapp verpasst hatte. In Südkoreas Hauptstadt war er hinter Timmermann und vor Werner Günthör Zweiter geworden. Mit seinem letzten Versuch überflügelte er Landsmann John Godina und wurde der Favoritenrolle doch noch gerecht.

Zwei Jahre nach dem Triumph in Atlanta war Barnes als Kugelstosser Geschichte. Im Frühling 1998 wurde er erneut des Dopings überführt und wenig später als Wiederholungstäter mit einer lebenslangen Sperre belegt. Eine Anfang April im Training vorgenommene Kontrolle förderte den Gebrauch von Androstendion zutage, eines Nahrungsergänzungsmittels, das die Produktion des körpereigenen Testosterons fördert. Barnes spielte danach den Unwissenden. Davon, dass das im freien Handel erhältliche Konzentrat auf der Liste der verbotenen Substanzen steht, will er keine Kenntnis gehabt haben. Der präzisierte Einwand seines Anwalts, Anstrostendion sei kurzfristig als Dopingmittel ausgewiesen worden und sein Mandant nicht im Besitz des aufs Jahr 1998 aktualisierten Papiers gewesen, fand bei den Richtern kein Gehör.

Einer unter vielen

Barnes musste die grosse Bühne in einer Zeit verlassen, in der er in Bezug auf Dopingmissbrauch einer unter vielen war, in der aber bei Weitem nicht alle Täter entlarvt wurden. Timmermann zum Beispiel blieb bis zum Rücktritt nach den Spielen in Barcelona trotz aller Verdächtigungen unbehelligt. Die Beweise für seine Verstösse konnten erst nach dem Zusammenbruch der DDR im Zuge der Aufarbeitung des staatlich gelenkten Dopings erbracht werden. Aus den Unterlagen war ersichtlich, dass Timmermann in den Achtzigerjahren sehr hohe Dosen des in Ostdeutschland entwickelten und weit verbreiteten Anabolikums Oral-Turinabol verabreicht bekommen hatte.

Dem Schatten Doping vermochte sich auch Günthör nicht zu entziehen. Inmitten von Ertappten stand er stets wie ein unbefleckter Athlet da. Dass er zu «medizinischen Zwecken» in der Regenerationsphase nach Operationen jedoch international verbotene Mittel verabreicht bekommen hatte, gestand sein Arzt ein. Solche im Ausland nicht zugelassenen Prozeduren waren gemäss gültigem «Therapiefenster» in der Schweiz erlaubt. Die Möglichkeit, die vorab nach Günthörs Gewinn von Olympia-Bronze in Barcelona aufgekommenen Diskussionen mit Kontrollen während der Trainings zu entschärfen, wurde bis zum Rücktritt des Thurgauers im folgenden Jahr nicht genutzt.

Günthör, der während seiner Epoche der weltweit kompletteste Kugelstosser war, machte trotz seiner Masse auch als Hochspringer, Eishockey- oder Fussballspieler eine gute Figur. Auch Barnes versuchte sich in anderen Sportarten. Im Mai 1991, während seines ersten Ausschlusses, heuerte er bei den San Francisco 49ers an. Bei der in der National Football League NFL engagierten Franchise, die einst erfolglos um die Dienste Günthörs geworben hatte, erhielt Barnes einen Zweijahresvertrag. Den Sprung ins Kader des NFL-Teams schaffte er allerdings nicht.

Mehr Erfolg hatte Barnes in einer besonderen Sparte des Golfs. In der Disziplin, in der es darum geht, die Bälle so weit als möglich zu schlagen, qualifizierte er sich einmal für die Weltmeisterschaft. Jene World Long Drive Championship fand im Dezember 2005 statt. Der Tag, an dem für den Kugelstosser Barnes nichts mehr ging, lag damals schon über sieben Jahre zurück.

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