Vor dem am Donnerstag beginnenden US Open der Golfprofis in Pebble Beach sprechen alle von zwei Spielern: Tiger Woods und Brooks Koepka.
Normalerweise würde der ganze Erwartungsdruck der Öffentlichkeit auf Woods' Schultern lasten. Nach dem sensationellen Triumph am US Masters im April, dem ersten Titel in Augusta nach 14 Jahren, fragen sich alle, ob Woods auf dem legendären, malerischen Küstenplatz südlich von San Francisco noch einmal so auftrumpfen kann wie vor 19 Jahren, als er bei seinem ersten von drei US-Open-Siegen die gesamte Konkurrenz in Grund und Boden spielte. In diesem Fall würde Woods in dieser Woche seinen 16. Titel an einem Turnier mit Grand-Slam-Charakter erringen und sich dem Rekordhalter Jack Nicklaus auf zwei Titel nähern.
Seit dem Sieg am US Masters hat Woods nur gerade zwei Turniere bestritten. An der US PGA Championship in Bethpage bei New York verpasste er um einen Schlag die Finalrunden. Am ebenfalls erstklassig besetzten Memorial Tournament in Dublin, Ohio, wurde er nach einer ausgezeichneten Schlussrunde (67 Schläge, 5 unter Par) Neunter. An der Form gibt es offensichtlich nichts auszusetzen. An der Medienkonferenz vor dem US Open klang er denn auch sehr zuversichtlich. Auch spüre er weiterhin nicht die geringsten körperlichen Beschwerden.
Tiger Woods kann einigermassen unbeschwert antreten, zumal der höhere Druck auf den breiteren Schultern des Kraftprotzes Brooks Koepka lastet. Der 29-jährige Floridaner hat mit dem Sieg an der US PGA Championship im Mai gleichsam einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt. Kein anderer vor ihm benötigte vom ersten bis zum vierten grossen Titel derart wenig Zeit wie er – weniger als zwei Jahre. Ähnlich schnell waren nur Ben Hogan, Jack Nicklaus und Tiger Woods gewesen.
Vor einem Jahr besuchten nur sechs Journalisten die Medienkonferenz, zu der sich Koepka als Titelverteidiger stellte. Heute ist das Interesse viel grösser. Als Koepka am Dienstag vor den Mikrofonen Auskunft gab, war kaum ein Stuhl im Medienzentrum frei.
Fragezeichen McIlroy
Der vierte und letzte grosse Sieg des nordirischen Wundergolfers Rory McIlroy liegt fast fünf Jahre zurück. Der mittlerweile 30-Jährige liess seither die Konstanz vermissen, die man von ihm erwartet hatte. Aber gerade letzte Woche zeigte er wieder einmal, was in ihm steckt. McIlroy gewann das Canadian Open in Hamilton hochüberlegen und nach einer fabelhaften Schlussrunde von 61 Schlägen (9 unter Par).
Ernie Els' Abgesang
Im Oktober wird Ernie Els 50 Jahre alt. Er besitzt seit längerem kaum noch die Spielstärke, um sich aus eigener Kraft für das US Open zu qualifizieren. Für 2018 und für dieses Jahr liessen ihn die Organisatoren mit einer «speziellen» Einladung starten, wie sie ein Golfer normalerweise höchstens einmal bekommt. So ist denn damit zu rechnen, dass der 27. aufeinanderfolgende Auftritt des Südafrikaners am US Open der letzte sein wird.
Der grossgewachsene Els, dessen Schwungbewegung noch heute kinderleicht aussieht und den sie deswegen «The Big Easy» nennen, gewann das US Open in den Jahren 1994 und 1997. 2002 und 2012 siegte er am British Open. Mit den vier Majortiteln ist er nach Tiger Woods (15 grosse Titel) und Phil Mickelson (5) der erfolgreichste auf den grossen Tours aktive Spieler – zusammen mit Rory McIlroy und neuerdings Brooks Koepka.
An den letzten zwei US Open in Pebble Beach schlug sich Els sehr gut. Beim Sieg des Nordiren Graeme McDowell 2010 wurde er Dritter. 2000 liess es sich nur von Tiger Woods bezwingen. Jener 2. Platz ist allerdings etwas trügerisch. Denn Woods siegte mit dem heute noch als Rekord gültigen Vorsprung von 15 Schlägen.
Koepkas Kampf gegen die Statistik
Die Weltnummer 1 Koepka wird das US Open sehr wahrscheinlich nicht zum dritten Mal in Folge gewinnen können. Das überragende Können und die aktuelle Form machen den Amerikaner zum ersten Favoriten, aber die statistischen Erfahrungen aus 125 Jahren US Open sprechen (fast) eindeutig gegen einen neuerlichen Triumph des 29-jährigen Floridaners.
Das 1895 eingeführte zweitälteste Majorturnier des Golfsports in drei Jahren nacheinander zu gewinnen scheint so gut wie unmöglich zu sein. Nach dem Ersten Weltkrieg ist es keinem Spieler gelungen, nicht Bobby Jones, nicht Ben Hogan, nicht Jack Nicklaus, nicht Tiger Woods. Einzig der Schotte Willie Anderson schaffte den Hattrick, und zwar in den Jahren 1903 bis 1905.
Koepka bestreitet in dieser Woche erstmals ein US Open als Nummer 1 der Welt. Die Weltrangliste wurde im April 1986 eingeführt. Seither standen von Bernhard Langer bis Brooks Koepka 23 verschiedene Spieler an der Spitze, viele unter ihnen in verschiedenen Perioden. Nie gewann eine aktuelle Nummer 1 das US Open. Nie, mit Ausnahme des Ausnahmegolfers Tiger Woods, der seine drei US-Open-Titel (2000, 2002, 2008) errang, als er gleichzeitig die Weltrangliste anführte.
Brooks Koepka würde also in doppelter Hinsicht Historisches schaffen, wenn er in Pebble Beach triumphieren sollte.