Tour de France Der Verdacht fährt mit: Roglics Ritt am Colombier beinahe unmenschlich

Von René Weder

14.9.2020

Primoz Roglic: Nach einem schweren Sturz im Jahr 2011 beendete der Slowene seine Karriere als Skispringer und wechselte zum Radsport – mit grossem Erfolg, wie sich heute zeigt.
Primoz Roglic: Nach einem schweren Sturz im Jahr 2011 beendete der Slowene seine Karriere als Skispringer und wechselte zum Radsport – mit grossem Erfolg, wie sich heute zeigt.
Bild: Getty

Das kleine Slowenien regiert die Tour de France. Tadej Pogacar und Ex-Skispringer Primoz Roglic fahren auf dem Grand Colombier die Konkurrenz in Grund und Boden. Unter das Staunen mischt sich Skepsis.

Egan Bernal ist der grosse Verlierer der Grand-Colombier-Etappe und hat am Sonntag alle Chancen auf den Gesamtsieg an der «Grande Boucle» verspielt. Der geschlagene Titelverteidiger schüttelte nach Rennschluss nur noch den Kopf – hauptsächlich aus Enttäuschung, aber vielleicht auch ein Stück weit aus Unglaube und Zweifel. Damit ist er nicht alleine.

Auch Tour-Experte Henri Gammenthaler äussert Bedenken nach dem fulminanten Gipfelsturm des Etappensiegers Pogacar und von Gelbträger Roglic: «Diese Fahrt erinnert mich stark an das damalige US-Postal-Team mit Lance Armstrong oder an das frühere Sky-Team mit Chris Froome. Die Machtdemonstration der Mannschaft von Roglic wirft Fragen auf. Noch nie hat ein Team den fürchterlich steilen Anstieg auf den Colombier in weniger als 46 Minuten geschafft. Diese Zeit liegt zwei Minuten unter der bisherigen Rekordmarke, das scheint mir fast unmöglich», erklärt Gammentaler im Gespräch mit «Bluewin». Den Einbruch von Egan Bernal bezeichnet der Radsportexperte indessen als «menschlich». «Davon müssten wir im Laufe einer Tour eigentlich viel mehr sehen, denn es ist illusorisch, ein dreiwöchiges Rennen ohne einen schlechten Tag durchzufahren.»

Roglic: «Ich habe nichts zu verstecken»

Alles deutet derzeit darauf hin, als würde Roglic seine verblüffende Metamorphose vom Skispringer zum Toursieger am kommenden Sonntag in Paris zu einem krönenden Ende bringen. Seit dem Wiederbeginn nach der Coronapause fährt der Slowene der Konkurrenz in allen Belangen davon. Auf dem Colombier wurde er zwar noch von Pogacar übersprintet, doch der 30-Jährige wird sein ganz grosses Meisterstück wohl im Bergzeitfahren am vorletzten Tag der Tour erst noch abliefern. Nach dem Ritt auf den Colombier sagt Roglic mit Blick auf seine Kritiker und die Zweifler: «Von meiner Seite aus könnt ihr mir vertrauen. Ich habe nichts zu verstecken.»

Es gebe viele Kontrollen, sowohl vor als auch nach der Etappe, erklärt er. Das laufe gut, ergänzt Roglic, gegen den es bislang keine Doping-Verdächtigungen gegeben hat. Allerdings ist der slowenische Radsport in die Blutdopingaffäre um den Erfurter Sportmediziner Mark S. verwickelt. So wurden auch Untersuchungen gegen Rad-Manager Milan Erzen durch den Weltverband UCI wegen mutmasslicher Verbindungen zu einem Mediziner aus der «Operation Aderlass» eingeleitet. Erzen war 2013 Chefcoach des unterklassigen Teams Adria Mobil, als Roglic seine Karriere begann.

Nach dem Ruhetag am Montag geht es am Dienstag mit der 16. Etappe über 164 Kilometer von La Tour-du-Pin nach Villard-de-Lans weiter. Fünf Bergwertungen, davon eine der ersten Kategorie, sind anspruchsvoll. Zu Veränderungen an der Spitze der Gesamtwertung dürften diese Hindernisse in den Alpen aber kaum führen. Zu klar scheinen die Verhältnisse auf dem Rad – auch wenn der Verdacht treuer Begleiter ist.

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